Geschwätzigkeit. Zur Poetik der ungerichteten Rede im europäischen Roman des 19. Jahrhunderts
Das Projekt untersucht das überbordende, ungerichtete Reden. Bereits im europäischen Roman des 19. Jahrhunderts ist das schweifende, thematisch ungerichtete Gespräch verbreitet; es stellt eine Herausforderung etablierter Genre-Konventionen und - Erwartungen dar. Entgegen Annahmen der Forschung, denen zufolge die realistische europäische Romankunst sich vor allem subjektiver Beobachtung, Erleben und Beschreiben verdankt, akzentuiert mein Projekt das Informelle des Gesprächs im Kontext narrativer Poetiken. Das assoziative Reden bildet einen zentralen Artikulationsmechanismus der Romanpoetik des 19. Jahrhunderts. Ich untersuche es im Hinblick auf seine ästhetisch-sozialen Bedingungen, die damit verbundenen Geltungs- und Machtansprüche und das resultierende kreative Potenzial. Der Fokus der Studie liegt auf Romanen von Goethe, Theodor Fontane, Madame de Staël, Jane Austen und Marcel Proust. Das Projekt setzt vor allem einen poetologischen Akzent: Es geht um die Strategien, mit denen Texte die Kontingenz des Gesprächs zu integrieren suchen, zugleich aber die Form des Romans erweitern und gefährden. Zur Debatte stehen ein ironisches Selbstverhältnis zur Form und die damit implizierte grundlegend-abgründige Funktion der Romanpoetik: Andere Medien kommen ebenfalls in den Blick, etwa die Darstellung von Bildern (Goethe, Fontane, Austen) oder die Evokation von Klängen und Rhythmen (Goethe, Proust, de Staël). Der Roman wird zum hybriden Intermedium, so meine These: Die Romankunst des 19. Jahrhunderts entfaltet ihre innovative, medienübergreifende Vielfalt im Spannungsfeld zwischen dem „unordentlichen“ Gespräch und den nicht-literarischen Künsten.
Nach dem Studium der Germanistik, Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Anglistik und Philosophie in Tübingen, Chicago und Berlin war Barbara Naumann bis 1996 Assistentin am Szondi-Institut der Freien Universität Berlin. Dort promovierte (1988) und habilitierte sie (1996). Sie hatte von 1998 bis 2000 eine Professur für Germanistik und Kulturwissenschaften an der Universität Hamburg inne. Gastdozenturen führten sie nach Berkeley und Wien. Seit 2000 ist sie Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Zürich. Sie leitet dort verschiedene Projekte zur historischen Medialität, zum Bereich Literatur und andere Künste und zur Editionsphilologie. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift „figurationen“.
Mit Tusche, Rotwein und Kaffee. Victor Hugos Zeichnungen mit dem Material des Dichters, in: Ulrich Luckhardt (Hg.), WortBildKünstler, Ostfildern 2013, S. 116–123; gem. mit Margrit Wyder (Hg.), Ein unendliches in Bewegung. Das Ensemble der Künste im Wechselspiel mit der Literatur bei Goethe, Bielefeld 2012; Bilderdämmerung. Bildkritik im Roman, Basel 2012; gem. mit Alexandra Kleihues und Edgar Pankow (Hg.), Intermedien. Artistische und kulturelle Dynamiken des Austauschs, Zürich 2010.
Reden, schwatzen, parlieren … Es gibt viele Umschreibungen für das Phänomen der Geschwätzigkeit, das man auf den ersten Blick nicht mit der Romankunst des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringen würde. Gleichwohl hat es dort einen prominenten Ort. Barbara Naumann untersucht die Funktion des Redens am Rande der Sinnlosigkeit im Roman.