Katalysator - ein Schlüsselbegriff des 20. Jahrhunderts
Benjamin Steiningers Forschungsprojekt widmet sich einem chemischen Prinzip, das über die Chemie hinaus Geschichte gemacht hat: dem Katalysator. Katalytische Prozesse tragen die Welt allen Lebens und seit 1900 auch die Welt der Industrie. Katalysatoren, die, ohne selbst verbraucht zu werden, Geschwindigkeit und Richtung chemischer Reaktionen steuerbar machen, erzeugen die stoffliche Basis der Moderne: ökonomisch, strategisch, globalhistorisch. Kulturelle Gestaltungsmacht hat durch ein - wissenschafts- und medienhistorisch gesprochen - der Logik des Lebenden verwandtes Prinzip chemischer Regulation die Stoffe selbst erreicht. So erst entstehen aus der Ära der Dampfmaschine Tempo und Ökonomie des 20. Jahrhunderts.Das Forschungsprojekt konzentriert sich auf die Jahre um 1940 - hier ist der katalytische Einfluss auf die reale und symbolische Ordnung exemplarisch besonders greifbar. Wie schon der Erste wird auch der Zweite Weltkrieg mit Katalyse-Produkten geführt: mit Dünge- und Sprengmitteln, Buna, Kohlebenzin, katalytisch raffiniertem Erdöl, etc. Zudem steht Katalyse als Musterbeispiel für die "Versöhnung" von Natur und Technik im Fokus "ganzheitlicher" NS-Technikdeutung. Schlüsselfigur zur Rekonstruktion eines hoch problematischen Gemenges aus Biochemie, Kraftstoffwirtschaft und "chemistischer" Führer- und Geschichtsdeutung gesamtgesellschaftlicher Steuerungslehre ist der BASF-Laborleiter a. D. und "Philosoph der Katalyse" Alwin Mittasch. In seinen, als Symptom aufschlussreichen, Schriften scheint es, als hätte die Leittechnologie dieser postmechanischen, protokybernetischen Epoche auch noch den Begriff zu ihrer Deutung selbst geliefert.
Benjamin Steininger studierte Kulturwissenschaft und Philosophie in Berlin. Er war Scholar-in-Residence am Deutschen Museum München, Stipendiat am MPIWG, Berlin, von 2007 bis 2009 Kollegiat am Initiativkolleg "Sciences in Historic Context" der Universität Wien und Co-Kurator der Ausstellung "Wilhelm Reich: Sex! Pol! Energy!" am Jüdischen Museum Wien.
Kraftstoff! - Zur schmutzigen Basis des Verkehrs, in: Christoph Neubert, Gabriele Schabacher (Hg.), Verkehrsgeschichte und Kulturwissenschaft, Bielefeld 2009 [im Erscheinen]; Katalysator - Annäherung an einen Schlüsselbegriff des 20. Jahrhunderts, in: Ernst Müller, Falko Schmieder (Hg.), Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften, Berlin, New York 2008, S. 53-71; Minerale Materiale Medien, in: Archiv für Mediengeschichte, Nr. 7, 2007, S. 161-170; Raum-Maschine Reichsautobahn, Berlin 2005.
Das Buch ist vieles in einem: historisches und geografisches Sachbuch, kulturtheoretischer Essay, und fast sogar ein Bilderbuch. In dreiundvierzig, von ebenso vielen Bild-Fundstücken inspirierten Kapiteln (s.u.), entwickeln wir ein technisches, geografisches, politisches und spekulatives Panorama der sich neigenden Erdölmoderne.
Zum Weiterempfehlen, hier die wichtigsten Infos: Benjamin Steininger, Alexander Klose: Erdöl. Ein Atlas der Petromoderne. Berlin: Matthes&Seitz 2020, 323 Seiten, 43 Abbildungen, davon 21 in Farbe, Hardcover, 26 EUR, ISBN: 978-3-95757-942-3