Globalgeschichte der Geschichtspolitik
Geschichtspolitik ist jedes gesellschaftliche Handeln, das sich wesentlich auf historische Referenzpunkte stützt oder die Deutung von Geschichte zu beeinflussen versucht. Wir verstehen darunter öffentliche Bezugnahmen auf Geschichte, sei es zur Legitimation oder zur Abwehr bestimmter politischer Vorhaben und Ansichten der Gegenwart. In diesem Sinne ist Geschichtspolitik ein Phänomen, das sich allerorts und jederzeit in der Menschheitsgeschichte zeigen lässt. Doch im 20. Jahrhundert, und insbesondere seit 1945, hat sich in verschiedenen Etappen ein zusehends vereinheitlichtes Ensemble an geschichtspolitischen Diskursen und Praxen entwickelt. Im Zentrum dieser Entwicklung, die auch als Globalisierung kollektiver Gedächtnisse beschrieben wurde, steht die Auseinandersetzung mit (staatlicher) Gewalt und ihren Opfern. Der Holocaust gilt hier als zentraler Referenzpunkt. Im Gefolge der Entkolonialisierung haben jedoch auch ""Gegengeschichten"" marginalisierter Gruppen den Kanon nationaler und internationaler Meistererzählungen herausgefordert. Und schließlich weisen Begriffe wie ""Weltkulturerbe"" in Richtung eines gleichsam positiven Globalgedächtnisses. Berthold Molden geht der Frage nach, in welchem Maße die Geschichtsdiskurse bestimmter Gruppen - ob lokale Gemeinschaften, nationalstaatliche Erinnerungskulturen oder transnationale Milieus - von globalen Deutungsrahmen oder von fallspezifischen Bedingungen beeinflusst wurden.
Berthold Molden ist Historiker am Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit in Wien. Dort leitet er das internationale Forschungsprojekt ""Der Kalte Krieg im kommunikativen Gedächtnis Europas: Zehn Fallstudien in Grenzgemeinden"". Er unterrichtet als Lektor am Institut für Geschichte der Universität Wien. Sein Interesse gilt den hegemonialen Kräfteverhältnissen der Geschichtspolitik, der Theorie der Globalgeschichte und der Geschichte des Kalten Krieges.
(u. a.): The Iron Curtain and the Bordering of European Identity, in: Comparativ (erscheint 2009); gem. mit David Mayer (Hg.), Vielstimmige Vergangenheiten. Geschichtspolitik in Lateinamerika, Wien 2008; Vietnam und der Holocaust. Die transnationalen Proteste gegen den Vietnamkrieg als Wende im Genoziddiskurs, in: Jens Kastner und David Mayer (Hg.), Weltwende 1968?, Wien 2008, S. 83-97; Geschichtspolitik und Demokratisierung in Guatemala, Münster 2007.