Werkstätten des Möglichen 1930-1936. Ludwik Fleck, Edmund Husserl, Robert Musll, Ludwig Wittgenstein im Wiener Umkreis
Was haben diese vier prominenten Autoren- Fleck, Husserl, Musil, Wittgenstein- eigentlich miteinander zu schaffen? Verfolgt man ihre Lebensstationen und Denkbewegungen, so eröffnet sich ein Raum, in dem alle Wege nach Wien führen: in ihrer kritischen Bezugnahme auf den Wiener Kreis verbinden sich hier Literatur, Wissenschaft und Philosophie miteinander, und dabei bringen diese verschiedenen Ansätze allesamt eine Kategorie nach vorn, die das Streben nach Atomsätzen, nach Bedeutungsinvarianz und formaler Eindeutigkeit im Logischen Empirismus radikal durchkreuzt, nämlich die Kategorie des Möglichen. Dieser »Possibilismus<< taucht in den Arbeiten der vier Autoren in der ersten Hälfte der 1930er Jahre nicht nur als Gegenstand der Reflexion auf, sondern wird zudem in ihren eigenen gewissermaßen revisibelistischen Schreibprozessen vorgeführt. Es sind die Vorstudien, Verfassungen, Nachträge, Beilagen und Korrekturfahnen von Musils »Mann ohne Eigenschaften<<, Flecks »Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache<<, von Wittgensteins »Blauem<< und »Braunem Buch<< und Husserls Schriften zur »Krisis der europäischen Wissenschaften<<, die uns eine Vorstellung von einer Sprache und Schrift des Möglichen vermitteln.
Diese Konvergenzen im Zeichen des Möglichen ließen sich als »Denkstil<< bezeichnen. Aber könnte man- in der Terminologie Flecks verbleibend- auch von einem »Denkkollektiv<< sprechen? Wir haben es im Falle der vier Autoren mit einem nur indirekten, über gemeinsame Lehrer, Diskussionspartner und Lektüre vermittelten Korrespondenznetz zu tun. Wenn sich dieses ephemere Netz als ein >>Denkkollektiv« in einer nicht verfestigten, nicht institutionalisierten Form beschreiben ließe, das für das weitaus kompaktere Denkkollektiv des Wiener Kreises einen Stör- und Irritationstaktor darstellte, ergäbe sich daraus wiederum die Herausforderung, die epistemologische Beobachtungskategorie des »Denkkollektivs<< gerade in jenen Facetten, die aufgrund einer Konzentration auf Institutionengeschichten/InstitutionaIisierungsgeschichten vernachlässigt werden, wieder in den Blick zu bringen und zu erproben.
Dr. phil., studierte Japanologie, Philosophie und Geographie in Harnburg und Tokio; 1995-1999 Stipendiatin des Graduiertenkollegs >>Phänomenologie und Hermeneutik«; Promotion 1999 mit einer Arbeit über ethnographische und philosophische Beschreibungstheorien (Japan dicht beschreiben. Produktive Fiktionalität in der ethnographischen Forschung, München 2001 ); 1999-2003 Postdoctoral Research Fellow am Max-Pianck-lnstitut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin; seit 2003 Mitarbeiterin der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe >>Kulturgeschichte des Menschenversuchs«, Berlin/Bonn.
U.a. Japan dicht beschreiben. Produktive Fiktionalität in der ethnographischen Forschung (München: Fink 2001); (Hg.): Werkstätten des Möglichen. 1930-1936. L. Fleck