Die „kakanische“ Bürokratisierung von Affekt und Emotion
Nur idealtypisch sind „Bürokratien“ vollends „rationalisierte“ (Max Weber) Organisationen, die sich bei ihrem Hauptgeschäft, der Entscheidungsfindung mittels Aktenverkehrs, von allen Affekten und Emotionen befreit haben. Dass das „Irrationale“ indes nicht nur als Störung, sondern als integratives Moment bürokratischer Abläufe zu begreifen ist, wurde von der Human Relations-Schule über Theorien der „Verwaltungskultur“ bis hin zu zeitgenössischen Managementlehren immer dezidierter geltend gemacht. Vor diesem Hintergrund soll untersucht werden, inwiefern sich die habsburgische Bürokratie schon lange vor der postweberianischen Epoche durch ein informelles Management des „Irrationalen“ ausgezeichnet hat. Dabei scheint sich diese Praxis, stärker noch als in verwaltungstheoretischen Schriften, in literarischen Texten niedergeschlagen zu haben. Die notorische Affinität österreichischer Autoren zur „kakanischen“ Bürokratie könnte sich aus deren eigentümlichem emotional management erklären.
Im Anschluss an das Studium der Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie in München und Berlin war Burkhardt Wolf Doktorand und Postdoktorand am Graduiertenkolleg „Codierung von Gewalt im medialen Wandel“ der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Postdoc am Paderborner Graduiertenkolleg „Reiseliteratur und Kulturanthropologie“. Nach seiner Zeit als Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar und der Humboldt-Universität zu Berlin war er ebendort sowie an der University of California Santa Barbara Gastprofessor, zuletzt Fellow am Kulturwissenschaftlichen Kolleg der Universität Konstanz sowie Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seine Arbeiten sind v. a. der Wissensgeschichte der Literatur gewidmet. Sie umfassen dabei Themenschwerpunkte wie: die Poetik des Affekts, literarische Raumordnungen, Literatur, Ökonomie und Sozialtechnologien, die Kulturgeschichte der Seefahrt, die Mentalitätsgeschichte von Gewalt und Religion, oder die Ästhetik und Diskursgeschichte von Gefahr und Risiko.
Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt, Zürich/Berlin 2013; Die Nacht des Bürokraten. Franz Kafkas statistische Schreibweise, in: DVjS 80/1 (2006), S. 97–127; Die Sorge des Souveräns. Eine Diskursgeschichte des Opfers, Zürich/Berlin 2004.
Die Verwaltung „Kakaniens“ hat Robert Musil einst mit liebevoller Ironie „die beste Bürokratie Europas“ genannt. Als eine Art rationalisierter und demokratisierter Inquisition hat sie hingegen der Jurist Albert Drach erfahren. Seine Romane machen der Bürokratie und ihren Nachwirkungen bis in die Zweite Republik auf eigentümliche Weise den Prozess. Ein Vortrag von Burkhardt Wolf.