Das verweigerte Bild. Transfergeschichte einer sozialen Geste (1890–1910)
Die Frage des Rechts des Menschen auf sein eigenes Bild trat historisch zur Zeit der Verbreitung der Handkameras um 1890–1910 auf. In immer mehr Fällen verweigerten Personen dem Fotografen das Aufnehmen ihres Bildes bzw. wollten seine Verbreitung kontrollieren oder verbieten lassen. Die unbefugte Bildaufnahme wurde so zum Gegenstand des Strafrechts und vom Bild ausgehend erweiterte sich der Begriff der Person. Es ist schwer zu erklären, warum diese Rechtsfragen bislang getrennt von den Bildfragen untersucht wurden, die im außereuropäischen Kontext erschienen. Die Angst vor der Kamera wurde lange Zeit als Motiv eines Aberglaubens gesehen, den es in der europäischen Kultur nicht gäbe. Doch ist die Verweigerung vor der Fotografie, so verschieden der Begriff der Person auch sein mag, als soziale Geste, auch mit europäischen Erfahrungen vergleichbar.
Christian Joschke studierte Kunstgeschichte und Germanistik. Seine Dissertation „Die Augen der Nation. Amateur-Photographie und Gesellschaft zur Zeit von Wilhelm II.“ wurde 2005 an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris vorgelegt. Er war Assistent am Collège de France und an der Universität Straßburg und später Post-Doktorand am Centre Marc Bloch in Berlin.
(u. a.): Les yeux de la nation. Photographie amateur dans l‘Allemagne de Guillaume II, Dijon 2012; Portrait de groupe et communauté d’amateurs. Le portrait des Présidents des frères Hofmeister — 1899, in: La Revue de l‘art, mars 2012; Bist Du schon Mitglied? Arbeiterfotografie und Polizeistaat, in: Wolfgang Hesse (Hg.), Arbeiterfotografie, Dresden, 2012 (im Erscheinen), S. 285–302; Narcisse photographe. Réflexions sur le sigle d‘Eduard Liesegang, in: Herbert Molderings und Gregor Wedekind (Hg.), L‘évidence photographique, Paris 2009; Images et savoirs au XIXe siècle, in: Perspective. Revue de l‘Institut national d‘histoire de l‘art, vol. 3, 2007, S. 443–458.
Bis zur Frühen Neuzeit gab es ein soziales wie juristisches Übereinkommen darüber, Kriminelle in Schandbildern öffentlich zu porträtieren. Ein Common Sense, der dieser Tage als längst abgeschlossen und unwürdig gilt. Dennoch sind wir in vielen Medien ständig mit Bildern konfrontiert, die das Ansehen eines Menschen zunichte machen. Wie entwickelte sich die Ikonografie der Schändung im Laufe der Jahrhunderte? Und wie werden im Rahmen dieser Praxis die Begriffe von Ruhm, „memoria“ und Ehre thematisiert? Fragen, denen der Kunsthistoriker Christian Joschke nachgeht.