Befremdliche Nachbarschaften. Kunst, Technologie und Krieg im 20. Jahrhundert
Die Futuristen wollten als Avantgarde gesehen werden, Technologie, Modernität und Militarisierung galten ihnen als zusammengehörig. Sie propagierten eine Weltordnung, die nicht mehr unter dem Primat räumlicher und zeitlicher Grenzen steht, sondern unter dem der Sphärendurchdringung und totaler Simultaneität. Nun gibt es zu ihrem Projekt tatsächlich Parallelen in Militärdoktrinen. Andererseits aber formulierten sie Leitvorstellungen dezidiert moderner ästhetischer Produktion überhaupt. Strukturell verwandte Vorstellungen lassen sich mindestens bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und – in veränderter Form – bis in die Informationsgesellschaft unserer Tage nachweisen. So bettete etwa Laszlo Moholy-Nagy in seinem 1947 erschienenen theoretischen Hauptwerk "Vision in Motion" die Koordinationsleistungen der Strategen des Zweiten Weltkrieges in sein Kunstkonzept ein, sieht hier wie dort raumzeitliches Denken, "a simultaneous grasp ... seeing, feeling and thinking in relationship and not as a series of isolated phenomena". Von der Independent Group (mit ihrer direkten Bezugnahme auf Moholy-Nagy) über Archigram bis hin zu Norman Foster lassen sich immer wieder Parallelaktionen bzw. Transfers von Verfahrensweisen aus der einen in die andere Sphäre beobachten. All diese Künstler sind, von den Futuristen einmal abgesehen, keine Bellizisten; die Affinitäten ergeben sich aus dem übergreifenden Bezugsrahmen der technischen Zivilisation.
Professor für Kunst und Kunsttheorie an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder
U.a. Batterien der Lebenskraft. Zur Geschichte der Dinge und ihrer Wahrnehmung im 19. Jahrhundert, Gießen 1984/Weimar 2002; Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900, Gießen 1989; Super Constellation – Flugzeug und Raumrevolution. Die Wirkung der Luftfahrt auf Kunst und Kultur der Moderne, Wien/New York 1997