Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften
Für die Entwicklung der gegenwärtigen Kulturwissenschaften ist nicht allein die "Meistererzählung" eines cultural turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften entscheidend, die schon viel zu lange im Bann eines übermächtigen linguistic turn verharrt. Vielmehr ist es gerade der Wechsel verschiedener Neuorientierungen, der neue disziplinenübergreifende Fokussierungen der Forschung ausgelöst und anregende Untersuchungsperspektiven freigelegt hat: interpretive turn, performative turn, reflexive turn, postcolonial turn, translational turn, pictorial/iconic turn, spatial turn, biological turn. Diese "Wenden" werden oft als intellektuelle Moden verpönt oder aber als Paradigmen überhöht. Doch ihr Potenzial liegt in ihren methodischen Anstößen und ihrer Veränderung der Blickwinkel. Ihre konzeptuellen Möglichkeiten wie ihre pragmatischen Anwendungsfelder ziehen sich quer durch das Spektrum der kulturwissenschaftlichen Disziplinen hindurch. Auf diese Zusammenhänge richtet sich das Projekt nicht etwa durch retrospektive Forschungssynthesen, sondern durch die Untersuchung ihrer Impulse für eine methodische Weiterprofilierung der Kulturwissenschaften: für Analyseperspektiven jenseits der bisher überstrapazierten Erschließung neuer Gegenstandsfelder. Bieten die turns Ansätze, um von der Gegenstands- und Themenfixierung der Kulturwissenschaften wegzukommen und eher die Ausbildung neuer Deutungsmuster, Untersuchungsansätze, Analysekategorien und kritisch reflektierter Begriffssysteme voranzutreiben? Hier zielt das Projekt zunächst darauf, Gelenkstellen zwischen den Disziplinen auszuloten, um dann aber auch eine systematische interkulturelle Erweiterung der Kulturwissenschaften voranzubringen. Sein Beitrag zur Grundlagenreflexion der Kulturwissenschaften könnte in dem Versuch bestehen, ausgehend von den kulturwissenschaftlichen Richtungswechseln systematischere Bezugsebenen für eine kulturenübergreifende Forschung zu gewinnen. Von hier aus könnte es den Kulturwissenschaften vielleicht gelingen, sich noch stärker komparatistisch zu öffnen, ja global und "zwischen den Kulturen" anschlussfähiger zu werden, ohne ihre europäisch geprägten Kategorien und Theoriebildungen universalisieren zu müssen.
Literatur- und Kulturwissenschafterin in Göttingen und an der FU Berlin
Neueste Bücher: (Hg.), Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, 2. akt. Auflage, Tübingen 2004; Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006 [in Vorbereitung].