http://www.mauthausen-memorial.at.
Blick und Gedächtnis. Die Erinnerungsbilder des "realen Sozialismus"
Das Gedächtnis des "realen Sozialismus" ist in Osteuropa noch immer vorwiegend kommunikativ strukturiert. Dabei wird den Zeitzeugen eine dominante Rolle eingeräumt. Durch das Fehlen einer kondensierten Geschichte, eröffnet sich der Politik ein weites Manövrierfeld, in welchem sie selbst – oder ihre Vertreter – zu einer Art historischem Gelehrten mutiert. Durch das Sammeln und Verarbeiten von wichtigen Stücken des kommunikativen Gedächtnisses des Kádár-Regimes versucht dieses Projekt, das Feld für die Instrumentalisierung der jüngsten Geschichte Ungarns einzuschränken. Ein Paradoxon der Revolution von 1989 in Ungarn war, dass sie zwar die meisten Tabus der Erinnerung hinwegfegte, die jüngste Vergangenheit – die Periode des Kádárismus – aber mit Schweigen belegte. Heute ist es für die meisten Ungarn sehr schwierig, diese Periode in ihre Lebensgeschichte zu integrieren. Die Dynamiken der Kreation und Destruktion von Tabus sind nicht so sehr ein Hindernis als vielmehr selbst Gegenstand dieses Forschungsprojekts. Seine Zielgruppen beinhalten ethnische Minderheiten wie ungarische Juden, Roma, Deutsche und Slowaken. Obwohl sich diese Minderheiten aus dem Blickwinkel harter soziologischer Kriterien bedeutend voneinander unterscheiden, so haben sie doch eines gemeinsam: Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurden sie stigmatisiert und gezwungen, über ihre Andersartigkeit für lange Zeit zu schweigen. Nach 1989 mussten sie "der Geschichte einen neuen Besuch abstatten" und ihre Identität fast völlig von null weg rekonstruieren. Ihr "fehlendes Gedächtnis" der Kádár-Ära wird verglichen mit dem "Gedächtnis des imaginierten Kommunismus" in einer Kontrollgruppe, nämlich Emigranten, die aus politischen Gründen zwischen 1956 und 1989 von Ungarn nach Österreich emigrierten und nach der Wende 1989 wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Eine weitere Kontrollgruppe beinhaltet österreichische Staatsbürger in Wien und dem Burgenland, die niemals jenseits des Eisernen Vorhangs gelebt haben, aber sowohl politisch als auch im Alltagsleben von seinen Auswirkungen betroffen waren. Methodologisch stützt sich das Projekt auf 60 narrative lebensgeschichtliche Interviews. Zur Vervollständigung der biographischen Methode werden die Interviewpartner gebeten, ihre Lebensgeschichten durch Fotos zu illustrieren. Diese privaten Fotos werden – komplementär oder kontrastiv – mit sogenannten "offiziellen" Fotos konkurrieren, die emblematische Momente aus dem politischen Leben oder der Alltagsgeschichte der jeweiligen Gruppen darstellen. Als Endprodukt des Forschungsprojekts wird ein Band von Aufsätzen sowie ein Fotoalbum entstehen.
(Zusammen mit Júlia Vajda), Mutatkozás. Zsidó Identitás Történetek [Präsenz. Jüdische Lebensgeschichten], Múlt és Jövö Kiadó, Budapest 2002; (zusammen mit Gerhard Seewann), Der Kampf um das Gedächtnis, in: Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Deutsches Historisches Museum, Berlin 2004; Filmprojekt Besucher- und Informationsforum Mauthausen – Mauthausen Survivor Documentation Project, "Es war unglaublich schwer, Arm in Arm zu gehen, aber wir dachten, das sei eine stilvolle Sache" – Videointerview mit Gábor Bán, http://www.mauthausen-memorial.at.