Die österreichische Konstruktion der Aufklärung
Dieses Projekt untersucht die folgenschwere Krise der Identifikation mit der Aufklärungin der Habsburgermonarchie: Anhand der zeitgenössischen Möglichkeitsstruktur und Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren sollen die widersprüchlichen Selbstverständigungen, Legitimations- und Rechtfertigungsstrategien aufgeschlüsselt werden, welche die Auseinandersetzungen um die Aufklärung prägten. Diese Beschäftigung mit der Kovariation semantischer und gesellschaftlicher Strukturen ermöglicht es, die Positionen im Konflikt um die Aufklärung zu rekontextualisieren und die Schuldzuweisungssymmetrien und Abgrenzungsanalogien der Diskussionen aufzuzeigen. Wessen Aufklärung war es? Welche Verteilungs- und Zuschreibungskämpfe innerhalb der polyzentrischen und pluriethnischen Habsburgermonarchie resultierten aus dieser Frage? Der konfliktträchtige Aneignungs- und Interpretationsprozess um die Aufklärung mit seinen kulturell und religiös grenzübergreifenden Zweckbündnissen und Allianzen führte zu Glaubwürdigkeitsverlusten und Enttäuschungszuständen, die zeitgenössischen Selbstverständnisse, Bestätigungserwartungen und intellektuellen Risikoabschätzungen wurden fragwürdig. Seit den 1780er-Jahren waren die Reformen Josephs II. Angelpunkt der Treuegelöbnisse, Propaganda- und Einschüchterungsschriften, aber ebenso Fokus der Anklagen gegen die Prinzipienkollision des aufgeklärten Absolutismus, gegen "missbrauchte Aufklärung" und "falsche Aufklärung". In den Spannungsverhältnissen des "josephinischen Traumas" wurden Erklärungsinstanzen und Wahrheitswerte ungewiss und verfremdungsanfällig, der Bezichtigungsjargon, die polemischen Beteuerungen und Selbstanklagen der Josephiner und Anti-Josephiner sollen in ihren relationalen Konstellationen untersucht werden: Der metternichsche Überwachungsstaat und die Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts erschienen als gleichberechtigte Erben der josephinischen Aufklärung mit ihren Schutzmechanismen gegen eine Selbstausschaltung der Aufklärung, die sie aus ihren eigenen Prinzipien erwachsen sah. Die angestrebte Relationsbestimmung von Sprache und historischer Wirklichkeit soll über das Nachvollziehen kategorialer Begriffsgeschichten und ideengeschichtlicher Traditionsbestände hinausgehen, Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Aufklärung in der zeitgenössischen "Grammatik der Wahrnehmung" zu verorten: Eine klischeegeschichtliche Sensibilisierung für die Kopräsenz und Konvergenz verschiedener Bedeutungsgefüge zeigt die Aufklärung als Austragungsort kultureller und konfessioneller Konflikte in der Habsburgermonarchie, im Seziertheater, Hörsaal und Debattierclub ebenso wie in der Klosterbibliothek, Freimaurerloge und Gubernialkammer.
M.A., Doctoral Researcher am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, Studium: Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in Wien und Berlin
U.a.: Sprache und Geschichte, in: Storia della Storiografia. Geschichte der Geschichts-schreibung 45/1, 2004, S. 28–39; Franz Fillafer im Gespräch mit Georg G. Iggers, in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 1, 2004 (Neue Folge, 19. Jg.), S. 84–100; Traurige Gestalt. Allegorie, Sprache und Geschichte bei Walter Benjamin, in: Federico Celestini, Ulrich Tragatschnig (Hg.), Barock – ein Ort des Gedächtnisses, Wien, Innsbruck 2005.