Rubato obligato. Adornos Geschichtsphilosophie der Zeit
Gabriele Geml legt in ihrem Projekt dar, wie Adornos Konzeption von Zeit, anders als die Zeittheorien der philosophischen Tradition, nicht in einer systematischen Konstruktion, sondern in der Untersuchung jeweils einzelner, historisch definierbarer Zeit- und Zeiterzeugungsphänomene entwickelt wird. Adornos Schriften zur Musik und Literatur kommt dabei maßgebliches Gewicht zu. Der als musikalische Vortragsbezeichnung geläufige Begriff des Rubato dient als Schlüsselkonzept zur Bestimmung des dialektischen Verhältnisses von abstrakter Zeitordnung und individueller Zeitgestalt, das Adorno in den entgegengesetzten Bildern des Flusses und der Kristallisation von Zeit zu fassen sucht. An ihnen lässt sich exemplarisch darstellen, wie in Adornos Schriften bildhafte und literarische Verfahren als Korrektiv verengter fachsprachlicher Terminologie eingesetzt werden, an der Adorno als Bedingung der Möglichkeit kritischer Distinktion gleichwohl festhält. Die für die Studie leitende These Adornos, dass die Zeit selbst ihre Zeit und ihre Geschichte habe, spricht sich besonders deutlich in seiner Diagnose aus, der Begriff der Zeit werde ähnlich wie der des Lebens unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen entsubstanzialisiert und spätestens seit den Zeittheorien von Kant und Hegel werde in der philosophischen nicht anders als in der ästhetischen Theorie mit der Entdeckung zugleich die "Entzeitlichung" der Zeit betrieben. Den ästhetischen Ausdrucksformen der von Adorno beobachteten Dissoziation des Zeitbewusstseins geht Gabriele Geml insbesondere in der "Philosophie der neuen Musik" nach.
Gabriele Geml studierte Philosophie, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Wien, Weimar, Nizza und an der Duke University. Sie war DFG-Stipendiatin des Frankfurter Graduiertenkollegs "Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung" und Lehrbeauftragte und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main.
Publikation: "Wie ein Naturlaut". Mimikry als Mytho-Logik bei Theodor W. Adorno, in: Andreas Becker u. a. (Hg.), Mimikry. Gefährlicher Luxus zwischen Natur und Kultur, Schliengen 2008, S. 189-211.
Wolfgang Fuhrmann (Leipzig): Donnerstag, 4. April 2019, 18:30 – 20:00 Uhr, Hörsaal 3D, Institut für Philosophie der Universität Wien, NIG / Neues Institutsgebäude, Universitätsstraße 7, 1010 Wien
Organisation: Gabriele Geml (IFK_Fellow 2008/9)
Kontakt: gabriele.geml@univie.ac.at