Altstadt als Konstruktion
Für Baudelaire, für Benjamin ist "Stadt" die Metapher der Moderne schlechthin. Schon Jean-Jacques Rousseau faßte die kosmopolitische Kapitale als spezifische Ausdrucksweise der säkularisierten modernen Gesellschaft auf. 1801 verläßt Ludwig Tieck Berlin und erfindet für die "Herzergießungen" das Nürnberg Dürers neu. Die Beschwörung der guten alten Stadt verfestigt sich im dynamischen Wandel der Industrialisierung. Als Chiffre natürlicher Ordnung und Ursprünglichkeit setzt Altstadt das Gegenbild zur neuen Stadt, die als entgrenzt, struktur- und haltlos empfunden wird.In dieses Szenario ist die Konstruktion von Altstadt aus einer neuen Stadterfahrung heraus eingeschrieben: als ein aller Traditionsbildung eignender blinder Fleck, der den Akt der Setzung systematisch ausblendet. Die Diskurse von Städtebau und Denkmalpflege perpetuieren diesen blinden Fleck, indem sie die Ursprungsbehauptung nachstellen: in der Imagination von Altstadt als einem vorgängigen Bezugspunkt, als passivem Objekt von Wiederaneignung und Rekonstruktion.Gerhard Vinken untersucht Altstadt als eine Konfiguration, die auf vielfältige Weisen in Praktiken und Diskurse modernen Städtebaus eingelassen ist oder vielmehr in ihnen erst erzeugt wird. Ziel ist, prägnante Operationen und Techniken der Generierung von Altstadt an exemplarischen Beispielen zu analysieren. Ausgangspunkte sind dabei Isolierung und systematischer Vergleich prägnanter städtischer Raumfiguren wie Grenze, Zentrum, Insel oder Zone. Dieser methodische Ansatz ermöglicht es darüber hinaus, dem programmatischen Potential der Altstadtgenerierungen nachzugehen.
Professur für Architekturtheorie und Kunstgeschichte an der RWTH Aachen
U.a. Baustruktur und Heiligenkult. Romanische Sakralarchitektur in der Auvergne (Worms 1997); Dehio-Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler: Brandenburg (Berlin/München 2000)