Synästhetische Evidenz im 18. Jahrhundert - Zwischen Aisthesis und Ästhetik
Hania Siebenpfeiffer perspektiviert in ihrem Projekt die Synästhesie des frühen 18. Jahrhunderts als eine polymodale Verifikationsstrategie sinnlicher Evidenz, in der aisthetische und ästhetische Paradigmen zusammenfallen. Als zweifach codiertes Phänomen war Synästhesie nach 1700 sowohl im Sinne der Aisthesis als menschliches Vermögen einer den Einzelsinn transgredierenden, simultanen, polymodalen Wahrnehmung als auch im Sinne der Ästhetik als künstlerisches Paradigma definiert. Der Fokus des Projekts liegt auf der Erforschung der medialen Transformationen und Transposition von Einzelsinnesdaten in die Intermodalität der Synästhesie, die ein Konzept von Evidenz hervorbrachte, das die materielle Eigenheit der Dinge mit der Reflexion der Krise sinnlicher Gewissheit engführte. In der Grenzregion von Literaturwissenschaft, Wissensgeschichte und Wahrnehmungsphilosophie angesiedelt, liegt die Besonderheit des Projekts in der Erfassung von zwei für die Synästhesie symptomatischen analogen Spannungsverhältnissen: a) zwischen Ästhetik und Aisthesis und b) zwischen Konstruktion und Repräsentation sinnlicher Wahrnehmung. Diese werden über die Diskursfelder von Magia Optica (Kircher, Schott), physikalische Optik (Newton, Huygens); Sensualismus (Locke, Leibniz, Berkeley, Hume, Mairan, Condillac), Ästhetik (Bodmer, Breitinger, Baumgarten) und Literatur (v. a. Naturlyrik der Frühaufklärung) erfasst. Indem sich Hania Siebenpfeiffer auf die Aspekte von Polymodalität, Poetizität und Evidenzialität von Synästhesie konzentriert, wird die medienspezifische Differenz von Schrift/Text, Farbe/Bild und Ton/Musik um die Verhältnishaftigkeit von Linearität/Simultanität, Temporalisierung/Atemporalisierung, Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit und Latenz/Manifestem erweitert. Das Projekt ist Teil einer größeren Studie zur "Poetik des Visuellen. Literatur, Wissen und Wahrnehmung (1600-1800)".
Hania Siebenpfeiffer ist Juniorprofessorin für Neuere deutsche Literatur an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 2007 war sie Forschungsstipendiatin der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
(u. a.): Giftige Gabe. Medea als Heroine des Giftmords, in: Nike Bätzner und Matthias Dreyer (Hg.), MedeaMorphosen, München; Mediologie des Blickes. Ordnungen der Sichtbarkeit bei Grimmelshausen, in: TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur, Sonderband: Grimmelshausen, 2008, S. 51-68; Die literarische Eroberung des Alls - Eberhard Christian Kindermanns Die Geschwinde Reise mit dem Lufft=Schiff nach der Obern Welt (1744), in: Christian Heitzmann (Hg.), Die Sterne lügen nicht. Astrologie und Astronomie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2008; Der Körper als Diskurseffekt. Michel Foucaults Philosophie der Körperlichkeit, in: der blaue reiter - Journal für Philosophie, Bd. 26: Körper, 2008, S. 20-25; »Böse Lust«. Gewaltverbrechen in Diskursen der Weimarer Republik (Große Reihe: Literatur - Kultur - Geschlecht, Bd. 38), Köln 2005.