Fellows


Heidemarie Uhl
ifk Research Fellow


Duration of fellowship
01. October 1999 bis 31. January 2000

Gedächtnisdiskurse in der Kreisky-Ära: Von der 'antifaschistischen Aufarbeitung' zur 'unbewältigten Vergangenheit'



PROJECT DESCRIPTION

"Gedächtnis" ist in den letzten Jahren zu einem gesellschaftspolitischen Schlüsselbegriff geworden. Gerade die öffentliche Präsenz der Debatten um historische Identität evoziert grundsätzliche Fragen nach den Funktionen von Erinnerung, wobei die moralisch-ethische Dimension, die Pflicht zum "Eingedenken", wie sie Avishai Margalit jüngst in der Publikation "Ethik der Erinnerung" diskutiert, der Ergänzung durch die Verortung von Gedächtnis im sozialen Raum bedarf. Im gegenwärtigen Verwendungszusammenhang bewegen sich die Ausformungen kollektiver Erinnerung- so die Ausgangsthese des Workshops "Gedächtnis zwischen Politik und Kultur" - im Spannungsfeld zwischen politischer Kultur und wissenschaftlicher Reflexion.

Im Bereich der politischen Kultur sind die Debatten um die angemessene Erinnerung an "wunde Punkte" der "eigenen" Vergangenheit zu einem der zentralen Themenfelder des öffentlichen Diskurses geworden. Allerdings umfaßt Gedächtnis weit mehr als den "Kampf um die Erinnerung", und es ist davon auszugehen, daß gerade die nichtreflektierten Traditionen und Geschichtsbilder durch ihre unhinterfragte Selbstverständlichkeit prägender wirken als die bewußt gesetzten Akte des Gedenkens. Vielfach repräsentieren Symbole, Rituale und Diskurse des kulturellen Gedächtnisses auch konsensuale Vorstellungen über die Vergangenheit, oder die Konfliktkonstellation, die dem Konstruktionsprozeß einer "invention of tradition" zugrunde liegt, ist bereits verblaßt, wie etwa in der Frage einer Österreichischen Nation. "Politik" und "Gedächtnis" korrelieren jedoch am stärksten in der Semantik des Umgangs mit einer umstrittenen, "unbewältigten" Vergangenheit. Und obwohl auch weiter zurückliegende Ereignisse gesellschaftliche Deutungskonflikte evozieren können, so sind es doch jene bis in die Gegenwart hineinreichenden Erfahrungen von staatlichen Gewaltakten, deren "Verdrängung" und "Bewältigung" zu emotional aufgeladenen Eruptionen sozialer Energie führen. Dabei ist es kein Zufall, daß die langfristigen Verarbeitungsprozesse der NS-Vergangenheit in den Nachfolgestaaten des Dritten Reiches die Folie für gegenwärtige Formen der Aufarbeitung von Terror und Gewalt, etwa im ehemaligen Jugoslawien oder in Südafrika, bilden. Insbesondere die Entwicklung der "Vergangenheitsbewältigung" in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet Einblick in psychologischekulturelle und politische Rahmenbedingungen des Umgangs mit einer belasteten Vergangenheit von den Strategien der Abwehr in den ersten Nachkriegsjahrzehnten bis zur "normativen Internalisierung" seit den siebziger und achtziger Jahren. Diese Transformation des Gedächtnisses betrifft nicht nur die innenpolitische Dimension, auch der außenpolitische Symbolgehalt hat am Ende des 20Jahrhunderts eine Veränderung erfahren: Die nationalen Geschichtserzählungen zielen nicht mehr vorrangig auf eine Abwehr der Beteiligung an den Verbrechen des Nationalsozialismus und auf eine Heroisierung des Widerstandes ab, vielmehr wird die Politik der Anerkennung der "dunklen Seiten" der Geschichte und die sich daraus ableitenden Konsequenzen (materielle und symbolische Wiedergutmachungsleistungen) zu einem, wenn nicht zu dem Maßstab für die liberal-demokratische Verfaßtheit eines Staates. In diesem Rahmen hat auch der Nationalsozialismus über seine Einbindung in nationale Narrationen und Erklärungszusammenhänge hinaus einen neuen Stellenwert als Zentralereignis des 20. Jahrhunderts gewonnen: "Auschwitz" markiert einen Zivilisationsbruch in der Geschichte der Moderne, die Shoa kristallisiert sich als transnationales "Leitbild eines Menschheitsgedächtnisses" (Norbert Frei) im Rahmen eines zivilgesellschaftlichen Wertekanons heraus. Auch das wissenschaftliche Interesse an den Erscheinungsformen kollektiver Erinnerung formiert sich im Kontext dieses Wertebezugs - dennoch folgt Gedächtnis als Kategorie wissenschaftlicher Reflexion und Analyse anderen Intentionen. Zum einen bildet gerade die kritisch-historische Aufklärung einen Gegenpol zu politischen Mythenbildungen, zum anderen bezieht sich "Gedächtnis" nicht primär auf moralisch-ethische Normen, die Analyse der kulturellen Formen der Erinnerung richtet sich vielmehr auf die Konstruktionsmechanismen gesellschaftlicher Erinnerung, auf ihre Historizität und Veränderung. Es ist wohl gerade die Dynamik dieser unterschiedlichen Praxisfelder- einer reflexiv-historisierenden Zugangsweise im Sinne einer "Sozialgeschichte des Erinnerns" (Peter Burke) und des politisch-moralischen "Kampfes um die Erinnerung"- mit ihren jeweils spezifischen Logiken und Interessen, die das Paradigma Gedächtnis nach wie vor als einen Brennpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit definiert.



CV

Mag. Dr. phil., seit 1989 Dozentin am Institut für Geschichte der Kari-Franzens-Universität Graz, promovierte 1990 mit einer Dissertation zum Thema Die Konfrontation mit Österreichs "großem Tabu". Zur Rekonstruktion von "Anschluß" und NS-Vergangenheit im öffentlich-medialen Diskurs des Gedenkjahres 193811988 (Böhlau-Verlag, 1992). Redaktionsmitglied der Zeitgeschichte; Mitarbeit an zahlreichen Forschungsprojekten. Seit Oktober 1996 Charlotte-BühlerHabilitationsstipendium des FWF mit ihrem Habilitationsprojekt zum Thema "Kultureller Wandel in der Moderne. Eine vergleichende Untersuchung kultureller Modernisierungsprozesse in den zentraleuropäischen Städten Graz und Leipzig 1880/90-1930". Ihr wurden für die wissenschaftliche Arbeit mehrere Preise verliehen.



Publications

Zahlreiche Publikationen zur Moderne, zur Denkmalkultur und zum Gedächtnisdiskurs: Geschichte der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Ersten Republik (Wien, Zürich: Europaverlag, 1991); Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs historische Identität fünfzig Jahre nach dem Anschluß (Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1992); Todeszeichen. Zeitgeschichtliche Denkmalkultur in Graz und in der Steiermark vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1994); "'Bollwerk deutscher Kultur'. Kulturelle Repräsentationen und 'nationale' Politik in Graz um 1900" in: Kultur-Urbanität-Modeme. Differenzierungen der kulturellen Moderne in Zentraleuropa um 1900 Hg. (Wien: Passagen-Verlag, 1998). Demnächst erscheint u.a. "Denkmalkultur in der Zweiten Republik" in: Transit. Europäische Revue. Sie arbeitete mit am Konzept der Czernowitz-Tagung.