Die psychische Realität des Films - Affektpoetiken im westlichen Kino
Weniges ist so sehr Gegenstand der Kritik poststrukturalistischer Kulturtheorie gewesen wie die Idee der individuellen Psyche. Im selben Maße aber, wie der Rekurs auf die Realität des Psychischen im kulturkritischen Diskurs entwertet wurde, ist die affektive Dimension des Kinos ins Zentrum des filmtheoretischen Diskurses gerückt.Vor diesem Hintergrund geht Hermann Kappelhoff der Frage nach, welche Form von Subjektivität jene Filme entwerfen, deren poetische Konzepte offensichtlich auf die Dekonstruktion der Integrität eines individuellen Selbstempfindens zielen. Warum können Filme, die die Identität individuellen Selbstempfindens als kulturelle oder mediale Konstruktion offenlegen, zugleich ein hohes Maß an emotionaler Beteiligung erzeugen?Seine Hypothese ist, dass die Realität des Psychischen in den poetischen Konzepten des postklassischen Kinos gerade nicht in der integralen Einheit personaler Identitäten in Gestalt filmischer Figuren repräsentiert, sondern als eine spezifische Aktivität auf Seiten der ZuschauerInnen vorausgesetzt und eingefordert wird. In dieser Perspektive stellt sich die individuelle Leiblichkeit der ZuschauerInnen als das Feld dar, in dem sich die symbolischen Register einer Kultur mit der affektiv-triebhaften Dimension menschlicher Individuen verbinden.Die Filme, die Hermann Kappelhoff mit Blick auf die skizzierte Fragestellung untersucht, gelten als Musterbeispiele der ästhetischen Dekonstruktion individualpsychologischer Identitätskonzepte: Es sind Arbeiten etwa von Rainer Werner Fassbinder, Pedro Almodóvar und Ang Lee. Gemeinsam ist ihnen, dass sie an der Affektpoetik des Melodramas anknüpfen, um die Verschränkung psychischer Realität mit historisch-gesellschaftlichen Machtverhältnissen offenzulegen.
Hermann Kappelhoff ist Professor für Film- und Mediengeschichte und Medientheorie am Seminar für Filmwissenschaft der Freien Universität Berlin. Die Auseinandersetzung mit einer Medientheorie der Emotionen bildet einen zentralen Schwerpunkt innerhalb seiner Forschungsarbeit. Seit 2008 leitet er das Projekt ""Affektmobilisierung und mediale Kriegsinszenierung"" am Exzellenzcluster ""Languages of Emotion"". Seit 2007 leitet er das Teilprojekt ""Die Politik des Ästhetischen im westeuropäischen Kino"" des SFB 626 ""Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste".
(u. a.): Realismus: Die Politik des Ästhetischen und das Kino, Berlin 2008; gem. mit Daniel IIlger (Hg.), Almodóvar, Reihe Film-Konzepte, 9, 2008; Urszenen des Mitgefühls. Zur Mediengeschichte der Emotionen, in: Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt/Main 2006; Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodrama und das Theater der Empfindsamkeit, Berlin 2004; gem. mit Bernhard Groß und Helga Gläser (Hg.), Blick Macht Gesicht, Berlin 2001."