Audiovisualität vor und nach Gutenberg
Horst Wenzel konzipiert als wissenschaftlicher Kurator den Teilbereich zum Mittelalter in der Ausstellung zur Entstehung der Schrift im Kunsthistorischen Museum, er konzipierte die Tagung Audiovisualität vor und nach Gutenberg und betreut im März u.a. die Edition des Tagungsbandes und des Ausstellungskataloges.
Horst Wenzel konzipierte die interdisziplinäre Tagung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, kulturelle Phänomene, die mit dem lconic turn, dem aktuellen Wechsel des Leitmediums vom Buch zum Bild, einhergehen im Vergleich mit früheren Medienumbrüchen zu perspektivieren. So wurde z. 8. ein komplexes Verhältnis von Körper und Text, das sich in die frühen Quellen einschrieb, evident; die Repräsentationen des Körpers in Texten und Bildern wurden dann in den folgenden Medienwechseln analysiert.
Diskutiert wurden auch die sich mit den Medienumbrüchen verändernden Bedingungen der Konstitution von Gedächtnis. Durch den Vergleich von Schnittstellen hinsichtlich mnemotechnischer Verfahren und mit Blick auf die spezifischen Diskurse der Memoria wurden die Medienumbrüche als komplexe transitorische Prozesse offensichtlich. Rekonstruiert wurden die spezifischen Gedächtniskonfigurationen: von der Brain Memory in oralen Kulturen zur Script Memory in der Manuskriptkultur, von der Script Memory zur Print Memory mit Beginn der Kultur des Buchdrucks, und da wir als .. Buchstabenmenschen" gegenwärtig aus der Gutenberg-Galaxis "herausgeschleudert" werden, sollte auf dieser Folie nach den Veränderungen des Erinnerns und Vergessens im Zeitalter der Electronic Memory gefragt werden. Die Darstellungen der komplexen Übergänge von der oralen Kultur zur Manuskriptkultur sowie von der Manuskriptkultur zu einer durch den Buchdruck veränderten Kultur wurden gerade nicht einer reduktionistisch-entwicklungsgeschichtlichen Perspektive im Kontext eines Ablösungs- oder Überwindungsmodells unterstellt; daher konnte auch die "Audiovisualität nach Gutenberg" innovativ perspektiviert werden. Evident wurden in allen Medienumbrüchen die signifikanten Verschiebungen im Verhältnis von medientechnischer Innovation und den Nutzerpraktiken.
In fünf Diskussionsrunden zu den Themen Ritual, Zeremoniell, Körper und Schrift- Schrift und Körper, Text und Bild, Buchdruck und Neue Medien wurde an den drei Tagen die medienanthropologische Perspektive entwickelt. Die Diskussion implizierte die Auseinandersetzung über einen erweiterten Textbegriff, die Zusammenhänge von Schrift, Bild und Musik und die besondere Berücksichtigung der Materialität der Kommunikation.
Professor für Ältere deutsche Philologie an der HumboldtUniversität zu Berlin. Gastprofessuren an der Washington University, Seattle und der University of California, Berkeley; Mitherausgeber der Studien zur älteren deutschen Literatur und Philologische Studien und Quellen.
Buchveröffentlichungen u.a. Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter (München 1994), Gutenberg und die Neue Weit Hg. mit Friedrich Kittler und Manfred Schneider (München 1994) sowie Typus und Individualität im Mittelalter (München 1983).