Der Wissenschaftswandel in Österreich/Zentraleuropa in den Kulturwissenschaften (1848–1938)
Dieses Projekt verfolgt das Ziel, den Wandel von Wissenschaftsauffassungen in Österreich/Zentraleuropa aus einem verlaufsorientierten, epochenübergreifenden Blickwinkel zu analysieren. Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Grundhypothese, daß wissenschaftliche Theoriebildungen Interdependenzen zu den sozioökonomischen, kulturellen oder politischen Verhältnissen aufweisen. Der Wissenschaftswandel vollzog sich dynamisch-prozeßhaft, phasenverschoben, auch war er keineswegs irreversibel.Um 1900 gewann das Wien Machs und Wittgensteins, Schönbergs und Klimts, Freuds und Musils einen besonderen Stellenwert als Ort des schöpferischen Aufbruchs. Der Arbeitshypothese folgend, waren hierfür mehrere Ursachen ausschlaggebend: erstens die politisch-ökonomische Modernisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zweitens der Aufstieg einer bürgerlichen Intelligenz, die sich nach 1848 zusehends von der staatspolitischen Vormundschaft befreite, sowie strukturelle Veränderungen im Universitätswesen, drittens die spezifische Verfaßtheit der urbanen Milieus wissenschaftlichen Schaffens, welche in Zentraleuropa durch eine Vielfalt von Sprachen, Kulturen und Religionen geprägt waren.Im ausgehenden 19. Jahrhundert büßte die staatlich geförderte formalistisch-deduktive Wissenschaftsauffassung sukzessive ihre Vorherrschaft ein, vorrangig wurden empirisch-induktive Verfahrensweisen. Um 1900 gewannen aber auch subjektivistische, partikularistische und perspektivistische, kurz relativistische Auffassungen an Relevanz: "Aparte Wiener Zirkel" wurden sich zusehends der Unvollkommenheit und unvollständigen Transparenz wissenschaftlicher Systeme bewußt. Mit dem Zerfall des multikulturellen Staatswesens (1918) mit seinen spezifischen kulturellen und wissenschaftlichen Ordnungen verstärkte sich aber wieder die Antriebskraft für eine Unifizierung der kognitiven Systeme. Der Universalismus sollte Mehrdeutigkeiten, Zufälligkeiten und Ungewißheiten verdecken.
Mitarbeiter des Sonderforschungsbereichs "Moderne" an der Universität Graz
U. a. Wissenschaft zwischen den Kulturen: Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945 (Frankfurt/M. u. a. 2001); mit Peter Stachel (Hg.): Das Gewebe der Kultur. Kulturwissenschaftliche Analysen zur Geschichte und Identität Österreichs in der Moderne (Innsbruck u. a. 2001); mit Ursula Prutsch und Moritz Csáky (Hg.): Habsburg Postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis (Innsbruck u. a. 2003)