Kritik und politische Vision: Arendt, Adorno, die europäische Moderne und das intellektuelle Projekt einer europäischen Demokratie
Das Forschungsprojekt bewegt sich im Zwischenraum von intellectual history, Kulturwissenschaft, politischer Ideengeschichte und moderner politischer Theorie. Ziel ist die genealogische Rekonstruktion einerseits früher ideengeschichtlicher Kritiken einer spezifischen europäischen Moderne im Kontext des Niedergangs der europäischen Nationalstaaten; andererseits früher politischer Visionen einer postnationalen europäischen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Als besondere Vertreter einer europäisch-jüdischen Intelligenz, die in der Nachkriegsgesellschaft kritisch und visionär ein intellektuelles Projekt europäischer Demokratie formuliert haben, werden die ExilantInnen Hannah Arendt und Theodor W. Adorno biografisch und theoretisch zum Ausgangs- und Orientierungspunkt für eine solche Genealogie mit aktuellem normativem Anspruch genommen. Im internationalen Forschungskontext ist jüngst das Interesse an beiden als TheoretikerInnen der europäischen Krise der Moderne und zugleich als VordenkerInnen der Neugestaltung Europas jenseits des Nationalstaates gestiegen. Beide sind dabei geprägt durch ihre Flucht- und amerikanische Exilerfahrung. Und beide treten in ihren Reflexionen zur europäischen Katastrophe des Nationalsozialismus/Totalitarismus sowie in ihren Überlegungen zur Zukunft Europas kritisch das Erbe des Kosmopolitanismus Kants an, den sie reformulieren. Das Forschungsvorhaben will die Ursprünge und Potenziale eines postnationalen intellektuellen Projekts, welche in den kulturdiagnostischen wie politisch-normativen Denkansätzen Arendts und Adornos zu finden sind, sichtbar machen. Erforscht wird darüber hinaus, inwieweit diese politische Ideengeschichte für eine selbstreflexive Philosophie europäischer Demokratie in der Gegenwart fruchtbar werden kann. Nach Arendt und Adorno muss eine solche politische Philosophie sich jenseits kulturalistischer und geschichtsidealisierender Mythen ausweisen, wie sie für die Konstruktion des Nationalstaates typisch waren.
Wiss. Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien/Univ. Potsdam, Lehrbeauftragter am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft/Univ. München, Affiliate Professor/Univ. of Haifa
U. a.: Kritische Theorie über den Antisemitismus, Hamburg 2001; gem. mit Dirk Auer und Julia Schulze Wessel (Hg.), Arendt und Adorno, Frankfurt/Main 2003; Demokratie und Judenbild, Wiesbaden 2004; gem. mit Susanne Frölich-Steffen (Hg.), Populisten an der Macht, Wien 2005.