Sammlung und Zerstreuung. Kulturen der Geschichte am Ort des Archivs
Archive sind Orte, an denen Menschen mit Geschichte in Berührung kommen. Mit ethnographischem Blick beschreibt die Studie Denken und Praktiken von Archivaren sowie Aspekte der Geschichtskultur der Weimarer Republik. In der Arbeit geht Mario Wimmer den Anfängen der Archivwissenschaft nach und entwickelt zugleich den Gegenstand der Archivwissenschaft wie seiner Untersuchung. Dabei zeigt sich, wie die Debatten um eine Archivberufssprache zu Elementen eines gemeinschaftlichen Denkstils wurden. Im Hauptteil des Projekts untersucht er die aufsehenerregendste Episode aus der Welt der Archive jener Zeit: Ein Privatgelehrter hatte nicht nur im großen Stil Archivalien gestohlen und auf dem freien Markt gehandelt, nach seiner Entdeckung stellte sich heraus, dass er von einer ungewöhnlichen sexuellen Leidenschaft für alte Handschriften erfasst worden war. Mit der Analyse dieses Falls lassen sich unerwartete Einblicke in die Welt der Archive und in das Verhältnis von Menschen und Geschichte eröffnen. Mario Wimmer führt schließlich in seiner Studie die Argumentationsstränge zusammen und beschreibt die methodischen Auseinandersetzungen und Praktiken um die Ausscheidung von Akten. Dabei zeigt sich u. a. die Politisierung des Archivwesens am Übergang der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus.
Mario Wimmer studierte Geschichte und Soziologie in Berlin und Wien. Er war Kurator der Ausstellung ""Das Gedächtnis von Mauthausen"" und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Seit April 2005 ist er Mitglied des Graduiertenkollegs ""Archiv, Macht, Wissen"" an der Abteilung für Geschichte der Universität Bielefeld. Im Frühjahr 2008 erhielt er das Gerda-Henkel-Stipendium für Ideengeschichte am Deutschen Literaturarchiv. Er ist Trainer für wissenschaftliches Schreiben.
(u.a.): Die kalte Sprache des Lebendigen. Über die Anfänge der Archivberufssprache, in: Peter Becker (Hg.), Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld [erscheint im Frühjahr 2009]; ""Das ist wie ein künstlerischer Arbeitsprozess"". Gespräch mit Ulrich Raulff über die Geschichte von Ideen, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG), Heft 1, 2009; Die Lage der Historik, in: ÖZG, Heft 2, 2007, S. 106-125; gem. mit Bertrand Perz u. a. (Red.), Das Gedächtnis von Mauthausen, Wien 2004, darin: gem. mit Bertrand Perz, Geschichte der Gedenkstätte, S. 58-75.