MnemoCine - Die cinematische Konstruktion von Gedächtnisprozessen
"This is the story of a man marked by an image from his childhood." Dieser Eröffnungssatz aus Chris Markers filmischer Zeitschleife "La Jetée" (1962) stellt uns einen Mann vor, der - wie von Mnemosyne gebannt - nicht mehr vergessen kann. Nur in scheinbarem Widerspruch hierzu stehen jene Filme, die unfallbedingte Gedächtnisausfälle zum Thema haben. Ein fiktives Treffen all jener Figuren, die bislang und vermehrt im Kino um die Jahrtausendwende von lückenhaftem oder trügerischem Gedächtnis geplagt wurden, ergäbe einen bunten Karneval der Selbstvergessenen. Ausgehend von einer Relektüre von Hugo Münsterbergs "revolutionärer und vergessener" (Kittler) Schrift "The Photoplay: A Psychological Study" (1916), die eine Analogisierung mentaler und filmischer Techniken vornimmt, soll die cinematische Umsetzung von Gedächtnisprozessen auf zwei Ebenen untersucht werden. Zum einen gilt es, anhand ausgewählter Spiel- und Avantgardefilme aus Geschichte und Gegenwart das audio-visual design der Erinnerungsbilder sowie deren Diegetisierung zu erkunden, wobei sich insbesondere die de(kon)struierten Subjektpositionen im Weimarer Kino und im Kino der Jahrtausendwende anbieten. Wie gestalten sich die Übergänge zu den mentalen Bildern, hinsichtlich Montage, Kadrage, Schärfenverlagerung etc.? Um welche Modi der Erinnerung handelt es sich? Auf Basis dieser und ähnlicher Fragen soll ein offener, ausbaufähiger Atlas der Mnemo-Clips im Film entstehen.In einem zweiten, diskursanalytisch orientierten Schritt geht es darum, die Gedächtniskonzeptionen, die den filmischen Raum- und Zeitkonstruktionen immanent sind, mit Gedächtnistheorien aus anderen Bereichen - insbes. Philosophie, Psychoanalyse und trauma theory - in Austausch treten zu lassen. "MnemoCine" erhofft sich, ausgehend von den genuinen Möglichkeiten und Vorstellungen des Films, neue Perspektiven auf bestimmte Mnemotechniken, Gedächtnismodelle und -aspekte zu ermöglichen.
U. a.: Hinter dem blauen Samtvorhang. Neun Denkbruchstücke zu David Lynch, in: Thomas Ballhausen/Günter Krenn/Lydia Marinelli (Hg.), Psyche im Kino. Sigmund Freud und der Film, Wien 2006; Das Herz ist ein einsamer Jäger. Clint Eastwoods Regiearbeiten, in: 26filmarchiv, 8/2005; Where is my mind? Von Gedächtnislücken und Gedächtnistücken, in: Maske und Kothurn. Tagungsband zu "Falsche Fährten. Von Täuschungen und Enttäuschungen in Film und Fernsehen" (erscheint demnächst). Herausgeber von www.filmdiskurs.com.