Todernst. Eine Analyse des geschlechtsspezifischen Suiziddiskurses in Österreich (1870 bis heute)
Suizidale Handlungen von Frauen wurden und werden anders interpretiert und theoretisiert als jene von Männern. Während Männern ein stark ausgeprägter Todeswunsch und eine durchaus rationale Intention attestiert wurde, galten Suizide von Frauen als emotional und weniger ernstlich motiviert. Ein ähnlich dichotomes Muster lässt sich auch bei den Suizidversuchen feststellen. Selbsttötungsversuche von Frauen wurden regelmäßig mit erpresserischen und/oder hilfesuchenden Absichten erklärt, bei Männern begnügte man sich hingegen oft mit der These eines missglückten Suizids. Diese Beobachtungen werfen Fragen nach dem „Warum“, dem „Wie“ und den daraus hervorgehenden Konsequenzen auf, die diskurs- und metaphernanalytisch sowie durch eine Untersuchung der Kollektivsymbole und der Normalitätsproduktion geklärt werden sollen. Die Ziele des Projekts liegen in der Aufdeckung der Herrschaftsverhältnisse und der Dekonstruktion des nach Geschlecht geschiedenen suizidalen Subjekts.
Michaela Maria Hintermayr absolvierte ein Diplomstudium der Geschichte an der Universität Wien und ist Dissertantin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien sowie Lektorin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie war PraeDoc-Stipendiatin der Universität Wien 2013 und erhielt 2013 den Theodor-Körner-Preis.
(u. a.): „ … die ‚Liebe‘ bedeutet der Hausgehilfin also tatsächlich mehr …“ Das Motiv der „Unglücklichen Liebe“ im Suiziddiskurs über die Wiener Hausgehilfinnen 1925–1933/1934, in: ÖGL Heft 2/13, Jahrgang 57, 2013, S. 159–169; „When I read about the suicide of a female domestic servant, I almost feel sorry that it is not me.“ An analysis of female domestic servant’s suicidality in Vienna between 1925–1933/34, in: BPS – Psychology of Women Section Review (in Vorbereitung); Critical Discourse Analysis, Metaphernanalyse und Kollektivsymbolik als Methoden der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Werkstattbericht am Beispiel des geschlechtsspezifischen Suiziddiskurses in Österreich (1870 bis heute), in: L’Homme (in Vorbereitung).
Im Fin de Siècle fand eine Intensivierung und thematische Verbreiterung des wissenschaftlichen Suiziddiskurses statt. Michaela Hintermayr geht der Frage nach, wie der Geschlechterunterschied in der Suizidforschung fruchtbar gemacht wurde und welche Konsequenzen diese Indienstnahme zeitigte.