Fläche und Entwurf
Das gemeinsam mit Manfred Faßler konzipierte Projekt fragt nach den Schnittpunkten in der Koevolution einer Natur- und einer Kulturgeschichte der Menschen, in dem natürliche und künstliche Fläche sich berühren? So etwa nach dem Primat des Visuellen gegenüber dem haptischen und dem olfaktorischen durch den aufrechten Gang und in der allmählichen der Denudation bei der Menschwerdung des Menschen der „sexual choice“, des – im Vergleich zu anderen Tierarten - Ganzkörperornaments, das Darwin in seinem zweiten Hauptwerk „The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex“ von 1871 ausdrücklich „Mode“ nennt, nach der Ergänzung dieses natürlichen Ornament durch Schminke, Tatoos,Schmuck und Kleidung, mit denen Schiller im sechsundzwanzigsten seiner Briefen die „ästhetische Erziehung“ beginnen lässt usw.
Kulturtechniken der Verflachung (Krämer) verwandeln „Bewegungsraum“ in „Struktur- und Denkraum“ (Certau), sie formatieren, schematisieren und abstrahieren Dreidimensionalität und ermöglichen zugleich umgekehrt Entwurf. Insbesondere verräumlichen sie aber auch die „vierte" Dimension der Zeit. Als Form, Maß, Ordnung, Register, Linie, Zeichnung, Raster, Karte, Diagramm, Bild, Schrift usw. usw. ist Fläche so unverzichtbar, dass es erstaunt, wie wenig sie bisher in den Blick der Kultur- Sozial- und Medienwissenschaften geraten ist.
Nun scheint uns freilich weniger der transzendentalphilosophische Weg noch offen, der die Bedingung der Möglichkeit flächengestützten Denkens, Zeichnens und Rechnens aufweist, als der genealogische, der Flächen an der Grenze von natürlicher und kultureller Evolution verortet und schließlich vom Medium, das Denken ermöglicht, zum Denkmedium führt.
Raimar Zons, Prof. Dr., geb 1947, Honorarprofessor an der Universität Konstanz und Generalbevollmächtigter des Wilhelm Fink Verlags, Studium der Literaturwisssenschaft, Soziologie und Philosophie an den Universitäten Köln und Freiburg, Promotion in Freiburg 1975, Habilitation für Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn 1989, apl. Professur von 1995 bis 2013, Lektor und Verlagsleiter von 1975 bis 2004; Verlegerischer Geschäftsführer der Verlage Wilhelm Fink und Ferdinand Schöningh von 2004 bis 2012. Zahlreiche Bücher, Essays, Aufsätze, Vorträge, Radio- und Zeitungsbeiträge zu Themen der Literaturgeschichte, der ästhetischen Theorie und Poetologie, der Medien- und -Kulturgeschichte, zur Philosophie und Politik.
Interessant? Warum, für wen, wodurch, seit und bis wann hatte „Geisteswissenschaft“ interessant zu sein?, Stuttgart 2015; Wie ein Anfang in der Geisteswissenschaft zu machen ist. Eine Untersuchung am Beispiel Jürgen Habermas‘ und Friedrich Kittlers, Berlin/Boston 2015; Die Emanzipation des Grundes, München 2014; Die Doomsday. Kultur, Geist, Freiheit nach Schiller, Paderborn 2013; Zeit des Menschen. Zur Kritik des Posthumanismus, Frankfurt 2001.
Goethes nach eigener Auskunft „bestes Buch“ ist zugleich sein nach wie vor rätselhaftestes , obgleich es sein meistanalysiertes sein dürfte. Aber alle Versuche müssen letztlich vor dem Inkommensurablen dieses Romans resignieren, der seine Leser und insbesondere Leserinnen weder exemplarisch belehrt, sie nicht zur Identifikation einlädt, noch durch seinen Plot besonders gut unterhält. Aber was sonst?