Die Stimmen des Flaneurs. Plädoyer für eine dialogizitätstheoretische Rekonstruktion intimer Kollektivität
Die Erfolgsgeschichte von Walter Benjamins Flaneur-Konzept wird in einem ersten Schritt zugunsten einer theoriegeschichtlichen Reflexion seiner Scharnierfunktion zwischen Kultur- und Erzähltheorie thematisiert. In diesem Sinn soll eine Rekonstruktion der engen Verstrickung der Konjunktur des Flaneurbegriffs mit Paradigmen "kulturwissenschaftlicher Transdisziplinarität" der Entfaltung und Überprüfung meiner ersten These dienen: der These, daß es den beiden dominanten historischen wie theoretischen Deutungsmodellen des Flanierens gerade dank ihrer konkurrierenden Besetzungen gelungen ist, eine signifikante Leerstelle zu etablieren. Zunächst entdeckte der Topos der "Stadt als Text" den Flaneur als das ihm zugeborene Subjekt, je nach Prämissen interpretiert als Symbiose zwischen "Zeichenstätte" und dechiffrierendem Semiotiker oder zwischen einem Raum der "unerschöpflichen Zeichengenerierung" und einem dekonstruktiven "Abenteurer der urbanen Semiose". Dieser Grenzverwischung zwischen modernen und postmodernen Gefügen konterte eine an der Archäologie der hegemonialen Funktion des Sehsinns interessierte Forschungsfraktion: "Panoptismus", "Spektakel" und "othering" waren jene Stichworte, die den Flaneur in einen Agenten des Verfalls partizipatorischer Sehweisen verwandelten. Die wechselseitige Verkürzung der von Foucault, dem Ahnherrn beider Flaneure, wiederholt thematisierten Rolle des Strukturwandels von Theatralität und Öffentlichkeit ist jene angesprochene Leerstelle, deren Produktivität abgetestet werden soll. Deren Potential liegt nicht nur in der Rekonzeptualisierung implizierter Vorbegriffe (vor allem der Funktion des Spiel-, Spektakel- und Performanzbegriffs in Relation zur Frage der Materialität der Kommunikation), sondern vor allem in der Verknüpfung der Arbeiten zweier wie Benjamin um "Schwellenkunde" bemühter Autoren: Richard Sennetts stadt- und öffentlichkeitsgeschichtliche Überlegungen um die Aporien "intimer Kollektivität" und Michail Bachtins "ohrenphilologische", das gesprochene Wort fokussierende Dialogizitätstheorie.
Mag. rer. soc. oec., geboren 1967 in Helmarshausen, Deutschland, Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität, der Germanistik und Fächerkombination an der Universität Wien