Charisma erzählen – Zur poetologischen Konzeptualisierung charismatischer Herrschaft um 1920
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, charismatische Herrschaft, wie sie in den geschichts- und literaturwissenschaftlichen Büchern aus dem George-Kreis erscheint, als poetologische Konzeptualisierung zu analysieren. Anhand der Arbeiten von Friedrich Gundolf, Ernst Bertram, Ernst Kantorowicz und Max Kommerell wird in der Dissertation untersucht, welche Modelle von Gemeinschaft die Kreis-Wissenschafter um den charismatischen Herrscher herum entwerfen und in welcher Beziehung diese Deutungsmuster zu den theoretischen Diskursen der Zeit stehen.In einer strukturellen Analyse der Texte wird nach den narrativen Mitteln gefragt, mit denen das Wissen über den Führer und seine Gefolgschaft in der Literatur des Kreises um George erprobt wird, und welche anthropologischen, soziologischen und politischen Implikationen damit verbunden sind. Wie die Arbeiten aus dem George-Kreis die rätselhafte Wirkung von Charisma erzählen, verweist auf die literarische Krypta von Gemeinschaftsideen und –idealen, die sich erst sekundär in Form evident inszenierter Kategorien in der entstehenden Soziologie (Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“) niederschlagen. In diesem Sinne versteht sich die Arbeit als Beitrag zur ideengeschichtlichen Erforschung einer zentralen Denkfigur des 20. Jahrhunderts, deren methodische Aufladung im Kern eine historische Konstellation vorführt, die als Zentrum eine Einzelpersönlichkeit fingiert, welche nur im polyphonen Textgeflecht aufzufinden ist.
Sebastian Haselbeck studierte Komparatistik, Gräzistik und Anglistik an der Universität Wien und am Trinity College Dublin. Er ist Doktorand am Institut für Germanistik der Universität Wien und war Stipendiat am Deutschen Literaturarchiv (Marbach a. N.).
gem. mit Julia Wagner (Hg.), Der Briefwechsel zwischen Karl Schlechta und Max Kommerell [in Vorbereitung 2010].
Das Ende des Kaiserreichs und die Novemberrevolution von 1918 markieren einen Umbruch, der die Zwischenkriegszeit in Atem halten wird. Es beginnt die Suche nach alternativen politischen Figuren und Gebrauchsanweisungen für eine Gegenwart, in der Herrschaft und ihre Repräsentation neu verhandelt werden. Im September 1910 gehen der deutsche und der österreichische Kaiser gemeinsam ins Kino. In einem Kinematographentheater auf dem Wiener Prater schauen sie sich Filme an, die sie selbst auf der Leinwand zeigen. Die monarchischen Repräsentanten der beiden Staaten werden im Akt der Repräsentation verdoppelt: Sie sind zugleich als Zuschauer und als Filmdarsteller im Kinosaal präsent. Doch dann reißt plötzlich der Filmstreifen. Dieser Riss, so die These des Buches, geht nicht allein durch die Repräsentationslogik monarchischer Souveränität. Er lässt sich auch als Chiffre für die grundlegende Veränderung in der Vorstellung und Darstellung von Souveränität in der politischen Wirklichkeit zwischen 1910 und 1920 begreifen.
konstanz|university press
Sebastian Haselbeck zeigt in seinem Vortrag eine verblüffende Verbindung auf: jene zwischen Diktat als Vorraum zum endgültigen Text und den realen Vorzimmern der Macht. Er belegt diesen Zusammenhang mit literarischen Beispielen.