Plutoniumwelten. Computersimulation und Kernkraft 1950 – 1980
Die zivile Nutzung der Atomkraft motiviert von Beginn an unterschiedlichste Imaginationen: von der „strahlenden Zukunft“ in Disneys Film „Our Friend the Atom“ bis hin zu späteren Debatten über ihre katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt. Atomphysiker und Ingenieure arbeiten – vor allem im Kontext der Entwicklung Schneller Brutreaktoren – in einem hochkomplexen und „kritischen“ Forschungsumfeld. Dieses erschließt sich nicht mehr allein mit den erprobten Verfahren von Theorie und Experiment, wenn jeder fehlgeschlagene Versuch sich zu einem GAU ausweiten kann. Wissenschaft bekommt hier einen hochgradig hypothetischen Index, dem es medientechnisch durch den Einsatz von Computersimulationsmodellen zu begegnen gilt. Mein Forschungsprojekt verfolgt diese Pionierphase simulationstechnischen Denkens anhand der Brütertechnologie und untersucht, wie sie in Verbindung mit Szenarien globaler Energiezukünfte ihre ganz eigene – von heutiger Warte aus durchaus verrückte – Rationalität entwickeln konnte.
Sebastian Vehlken studierte Medienwissenschaften und Wirtschaftswissenschaft in Bochum und Media Studies in Perth. Von 2005 bis 2007 war er DFG-Stipendiat im Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien“ der Bauhaus-Universität Weimar, von 2007 bis 2010 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Epistemologie und Philosophie Digitaler Medien der Universität Wien und von 2010 bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien der Leuphana-Universität Lüneburg. Seine Dissertation schloss er 2010 am Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin ab. Seine Interessenbereiche umfassen Medientheorien der Störung, die Theorie und Geschichte der Computersimulation, des Supercomputings und der Schwarmforschung, die Geschichte und Epistemologie von Thinktanks und Beraterwissen, die Mediengeschichte des Sonars und Ozeane als Wissensräume.
(u. a.): Zootechnologies. „Swarming“ as a Cultural Technique, in: Technology, Culture and Society 30 / 6, 2013, S. 112 – 133 (=,Geoffrey Winthrop-Young, Jussi Parikka and Ilinca Irascu (ed.), Special issue „Cultural Techniques“); Zootechnologien. Eine Mediengeschichte der Schwarmforschung, Berlin / Zürich 2012; gem. mit Christoph Engemann, Supercomputing, in: Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (Hg.), Takt und Frequenz, Paderborn 2011, S. 143 – 161 (= Archiv für Mediengeschichte Bd. 11); gem. mit Thomas Brandstetter and Claus Pias (Hg.), Think Tanks. Die Beratung der Gesellschaft, Berlin / Zürich 2010.
Der 20. März 1991 markiert das Ende einer Ära: Im niederrheinischen Kalkar wird der „Schnelle Natriumgekühlte Brutreaktor SNR-300“ stillgelegt und damit zur größten Investitionsruine der alten BRD. Die Geschichte dieses Kraftwerks und seines Chefentwicklers Wolf Häfele markiert jedoch zugleich ein medientechnisch innovatives Denken, das der „Hypothetizität“ seiner technischen Beherrschbarkeit mit neuartigen medientechnischen Mitteln begegnete – mit Computersimulationen. Sebastian Vehlken erzählt, wie aus spekulativen Atomspielen spektakulärer Ernst wurde.