Forschungsprojekt: Von der Kolonialforschung zur NS-Medizin – das Beispiel Robert Stigler
Das Verhältnis von Kolonialismus und Nationalsozialismus wird in den Geschichtswissenschaften kontrovers diskutiert. Neben der Rekonstruktion der Wurzeln faschistischer Ideologien im Kolonialismus geht es dabei auch um biografische Kontinuitäten. Das Wirken des österreichischen Arztes Robert Stigler (1878–1975) gibt Hinweise auf eine Linie zwischen „protokolonialistischen“ Aktivitäten in der Habsburgermonarchie und spezifischen Erscheinungsformen „wissenschaftlicher“ Arbeit in der Zeit des NS-Regimes. Stigler nahm an der vom Architekten Rudolf Kmunke (1866–1918) organisierten Uganda-Expedition 1911/1912 teil. Dabei führte er medizinische Experimente an lebenden Menschen durch. Stigler verfolgte ein „rassenphysiologisches“ Forschungsprogramm, das er in den Jahren der NS-Herrschaft weiterverfolgte und zu dem er – leicht modifiziert – auch nach 1945 weiterhin publizierte. Das Projekt versucht, Stiglers Biografie zu rekonstruieren, und beleuchtet insbesondere auch das Verfahren, das nach 1945 im Rahmen der Entnazifizierung gegen ihn angestrengt wurde. Im Hintergrund stehen Fragen nach der Rolle Österreich-Ungarns im Rahmen des europäischen Kolonialismus sowie nach Kontinuitäten innerhalb der österreichischen Wissenschaftsgeschichte von der Jahrhundertwende bis nach 1945.
Nach dem Studium der Geschichte und Germanistik in Wien, Salzburg und Berlin war Simon Loidl als Research Fellow am Center for Austrian Studies der University of Minnesota sowie als Projektmitarbeiter beim Oberösterreichischen Landesarchiv tätig. Als freier Historiker und Journalist arbeitet er derzeit unter anderem an Nachfolgeprojekten zu seiner Dissertation über „Kolonialpropaganda und -aktivitäten in Österreich-Ungarn 1885–1918“.
(u. a.): Colonialism through Emigration: Publications and Activities of the Österreichisch-Ungarische Kolonialgesellschaft (1894–1918), in: Austrian Studies 20, 2012, S. 161–175; Safari und Menschenjagd – die Uganda-Expedition von Rudolf Kmunke und Robert Stigler 1911/12, in: Österreich in Geschichte und Literatur (mit Geographie), 55. Jg. 2011, Heft 1 (366), S. 38–53; gem. mit Peter März, „... Garanten gegen den Faschismus ...“ – Landesverband ehemals politisch Verfolgter in Oberösterreich, Linz 2010; Illegalität im Exil. Österreichische KommunistInnen im Exil in den USA, in: Manfred Mugrauer (Hg.), 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs, Wien 2009.
Bürger der Stadt Steyr, Arzt, Expeditionsteilnehmer mit fragwürdigem wissenschaftlichem Ziel, Rassendenker und Inhaber mehrfacher Professuren während der NS-Zeit, nach dem Zweiten Weltkrieg auch bald wieder anerkannter Publizist derselben Thesen in adaptiertem Wortgewand: Robert Stigler. Der Historiker Simon Loidl folgt den Spuren einer nicht untypischen NS-Biografie und deren NS-ideologischer und kolonialer Wurzeln.