Multilinguale Stadt historisch betrachtet: Sprachenpolitik, Sprachenwirklichkeit und Sprachendiskurse in Lemberg (1848–1918)
Die geplante Studie knüpft an die Traditionen der sozio- und kontaktlinguistischen Erforschung historischer Kommunikationsräume an und beschäftigt sich mit der Mehrsprachigkeit in Lemberg (Lwiw) in der Zeit von 1848 bis 1918. In der damaligen Hauptstadt des Kronlandes Galizien und Lodomerien trafen viele Sprachen aufeinander: Polnisch, Ukrainisch (Ruthenisch), Deutsch, Jiddisch, Hebräisch, Armenisch u. a.
Mit Lemberg wird eine materiell bisher wenig erschlossene Region in den Blick gerückt, die komplexe und dynamische Sprachkonstellationen aufweist. Die Untersuchung umfasst drei zentrale Aspekte: (1) gesetzliche Regelungen der Sprachenfrage; (2) Sprachenwirklichkeit bzw. Sprachenwahl, tatsächlicher Umgang mit der Mehrsprachigkeit in Lemberg; (3) Sprachreflexionen und -diskurse (Äußerungen über Sprache(n) in zeitgenössischen Quellen). Der gewählte Zeitabschnitt ist geprägt von der politischen Wirkung des Völkerfrühlings, der eine Steigerung des nationalen Bewusstseins unter den Völkern der Monarchie verursachte; Sprache wurde zum zentralen Symbol der Gruppenidentität. Unterschiedliches Prestige der einzelnen Sprachen und ihre unausgewogene Präsenz in Verwaltung, Schule oder Kirche sorgten für zahlreiche Sprachenkonflikte.
Nach dem Studium der deutschen und englischen Philologie in Lwiw (Ukraine) setzte Stefaniya Ptashnyk ihr Studium in Heidelberg (Germanistik und Slawistik) fort. 2003 erfolgte die Promotion im Bereich der Phraseologie. Seit 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Als Habilitandin der Universität Heidelberg arbeitet sie an einer soziolinguistischen Studie über das mehrsprachige Lemberg 1848 bis 1918.
(u. a.): Stadtsprachen historisch betrachtet: Zur Beschreibung der Mehrsprachigkeit in Lemberg 1848–1900, in: Christopher Kolbeck, Reinhard Krapp, Paul Rössler (Hg.), Stadtsprache(n) – Variation und Wandel, Heidelberg 2014, S. 95–110; Deutsch im alten Österreich: Zur Mehrsprachigkeit und Variation im habsburgischen Bildungswesen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Stadt Lemberg, in: Alexandra Lenz et al. (Hg.), Variation und Varietäten des Deutschen in Österreich. Theoretische und empirische Perspektiven, Frankfurt/Main 2014; Sprachvariation, Diglossie und Sprachenkonflikte im Diskurs: Zur linguistischen Erforschung der galizischen Mehrsprachigkeit in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Alexander Kratochvil, Renata Makarska, Katharina Schwitin (Hg.), Kulturgrenzen in postimperialen Räumen, Bielefeld 2013, S. 117–140; Variation und die historische Sprachkontaktforschung: Am Beispiel der multilingualen Stadt Lemberg, in: Peter Gilles, Joachim Scharloth, Evelyn Ziegler (Hg.), „Variatio delectat". Empirische Evidenzen und theoretische Passungen sprachlicher Variation, Frankfurt/Main u. a. 2010, S. 287–308.
Wie sah die sprachliche Realität Lembergs, einer Stadt, in der Polnisch, Ukrainisch, Deutsch, daneben Jiddisch, Latein, Armenisch und Kirchenslawisch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesprochen wurde, aus? Wie wurde mit dem mehrsprachigen Potenzial der Bevölkerung umgegangen? Welche Rolle spielte dabei die Sprachenpolitik der Habsburger? Diesen Fragen geht Stefaniya Ptashnyk am Beispiel des Presse- und des Bildungswesens in Lemberg nach.