Gedenken und Komik in sozialen Medien
„[D]igital memory cultures are ripe with insecurities“, schreibt die schwedische Medienforscherin Amanda Lagerkvist (2014, 3) angesichts der Herausforderungen, die digitale Datenverarbeitung an tradierte Formen des Gedenkens stellt. Noch nach unserem Tod führt unsere Online-Existenz ein reges Leben – und dies in einem Raum, der sich durch Permanenz, Replizierbarkeit, Erweiterbarkeit und Durchsuchbarkeit auszeichnet (boyd 2010). Das Kollabieren von Sinnzusammenhängen, das in diesen Qualitäten angelegt ist, ist wie geschaffen dafür, unser Andenken dem Mechanismus des Komischen zu unterwerfen. Schließlich liegt dieser Mechanismus der Inkongruenz-Theorie zufolge im Zusammenzwingen unvereinbarer Kontexte begründet. Besonders Internet-Gedenkseiten fallen diesem Kontextkollaps zum Opfer, indem sie „Trauertouristen“ und „RIP-Trolle“ (Phillips, 2011) anziehen. Doch während sowohl die unfreiwillige Komik Ersterer als auch der sardonisch-schwarze Humor Letzterer Gegenstand akademischer Untersuchungen waren, steht die Analyse der grundsätzlichen Funktionen des Komischen für das Gedenken und Erinnern online noch aus. Dies soll Krügers Projekt leisten.
Steffen Krüger studierte Anglistik und Kommunikationswissenschaft in Berlin und London. Er ist Postdoktorand und Dozent am Institut für Medien- und Kommunikationsforschung an der Universität in Oslo, Norwegen, sowie beitragender Redakteur der Zeitschrift „American Imago“, einer 1939 von Sigmund Freud und Hans Sachs gegründeten Zeitschrift für Psychoanalyse und Humanwissenschaften. Seine bei Hermann Haarmann (FU Berlin) abgelegte Doktorarbeit über den Psychoanalytiker und – während des Zweiten Weltkriegs – Propagandaforscher Ernst Kris erschien im Fink Verlag unter dem Titel „Das Unbehagen in der Karikatur“ (2011), ein zusammen mit dem Kunsthistoriker Thomas Röske herausgegebener Aufsatzband über Ernst Kris, „Im Dienste des Ich“, erschien 2013 im Böhlau Verlag. Krügers derzeitiges Forschungsprojekt „Online-Interaktionsformen“, finanziert vom Norwegischen Forschungsrat, nähert sich Online-Diskussionsforen und sozialen Netzwerkseiten vermittels der tiefenhermeneutischen Methode des „szenischen Verstehens“.
Unable to mourn once more? Media responses to Neo-Nazi terror in Germany, in: Lene Auestad (Hg.), Shared Traumas, Silent Loss – Public and Private Mourning, London 2015; The Legend of the Artist – family romance and Führer Myth, in: American Imago, 71 (1, Spring) 2014, S. 29–51; gem. mit Jacob Johanssen, Alienation and Digital Labour. A depth-hermeneutic inquiry into online commodification and the unconscious, in: Marisol Sandoval, Christian Fuchs et al. (Hg.), Philosophers of the World Unite! Theorising Digital Labour and Virtual Work (=TripleC, special issue, 12/2 2014); Tiefenhermeneutische Zugänge zur digitalen Moderne, in: Elisabeth Rohr (Hg.), Inszenierungen des Unbewussten in der Moderne, Alfred Lorenzer heute, Marburg 2014.
Das Lächeln, das bei Beileidsbekundungen durchbricht; das Weinen, das in Lachen umkippt; das sprichwörtliche „Du scherzt wohl?“ als Reaktion auf bestürzende Nachrichten – anhand solcher Alltagsszenen sucht Steffen Krüger in seinem Vortrag die widersprüchliche Nähe von Trauer und Komik zu beschreiben und das Wirken der einen Emotion in der anderen aufzuspüren.