Stahlgestalten im Hochschullager. Die Verkörperung des Hochschulerziehungsgesetzes
Mit dem Hochschulerziehungsgesetz führte der austrofaschistische Ständestaat 1935 sogenannte „Hochschullager“ ein. Diese in den Sommern 1936 und 1937 abgehaltenen Lager mussten grundsätzlich von allen männlichen Studierenden besucht werden, um zu den Abschlussprüfungen zugelassen zu werden. Die vormilitärische Ausbildung (Exerzieren, Kraftübungen, Taktik, Camouflage, Kartenlesen etc.) diente zuerst auch als Kompensation der allgemeinen Wehrpflicht; zudem sollten die „schwächlichen Studenten“ zu Jünger‘ schen „Stahlgestalten“ (Ernst Jünger, „In Stahlgewittern“) ausgebildet und schließlich auf die neue Österreich-Ideologie eingeschworen werden. Dahingehend stand jedem Lager ein Offizier des Bundesheeres vor, dem ein Bildungsführer zur Seite gestellt war. Erster war für die Ausbildung der Körper, zweiter für die weltanschauliche Schulung im vaterländischen Sinne zuständig.
Das Forschungsprojekt verfolgt das Ziel, jene Hochschullager, ihre politische Bedeutung, ihre praktische Durchführung und ihren (körperpolitischen) Impact wissenschaftlich aufzuarbeiten. An ihnen lassen sich Formen austrofaschistischer politischer Regulierung aufzeigen, die am menschlichen Körper ansetzten, um eine Österreich-Identität zu konstituieren, und die durch die Präsentation von gestählten „Volkskörpern“ eine habituelle Militarisierung intendierten. Da das Eindringen militärischer Elemente in den pädagogischen Diskurs einen Schlüsselbegriff zum Verständnis der nationalsozialistischen Erziehung darstellt, ist zu fragen, inwiefern sich diese militärischen Erziehungselemente, gestützt auf Körperbilder, bereits im Austrofaschismus finden und welche Rolle die Hochschullager bei der Genese der NS-Hochschulsportpflicht spielten.
Tamara Ehs studierte Politik-, Kommunikations- und Rechtswissenschaften an der Universität Wien, am Institut d’Etudes politiques de Lille und der European Academy of Legal Theory in Brüssel. Sie ist Projektmitarbeiterin am Zentrum für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW sowie Lehrbeauftragte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, zudem Mitglied im Nachwuchsnetzwerk des ZiF – Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld.
Steeling the Body for War in Austrofascist Education, in: Kevin McSorley (Hg.), War and the Body. Militarisation, Practice and Experience, London 2012 (im Druck); Die Vertreibung der ersten Staatswissenschafter. Helene Lieser und Johann Sauter, in: Franz Stefan Meißel, Thomas Olechowski, Ilse Reiter-Zatloukal, Stefan Schima (Hg.), Juridicum Spotlight 2: Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht. Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1938–1945, Wien 2011, S. 233–259; Das extramurale Exil. Vereinsleben als Reaktion auf universitären Antisemitismus, in: Evelyn Adunka, Gerald Lamprecht und Georg Traska (Hg.), Centrum für Jüdische Studien 18: Jüdisches Vereinswesen in Österreich im 19. und 20.Jahrhundert, Innsbruck 2011, S. 15–29.
In ihrem Vortrag zeigt Tamara Ehs anhand von ministeriellen Unterlagen des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes, von (bildungs-)politischen Periodika wie „Der christliche Ständestaat“, „Politische Leibeserziehung“ und „Österreichische Pädagogische Warte“ sowie von Filmaufnahmen aus der Wochenschau „Österreich in Bild und Ton“ die politische Bedeutung, praktische Durchführung und den identitätspolitischen Impact jener Hochschullager auf.