Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der Folter
Was wird in welchen institutionellen Zusammenhängen mit der Folter verhandelt und vollzogen? Diese Frage stellt sich historisch in Hinblick auf die schrittweise Abschaffung der Folter im 18. Jahrhundert und die rechtspolitischen Auseinandersetzungen, die sie, mit starker Wirkung auf die Literatur, begleitet haben. Und sie stellt sich aktuell innerhalb einer gesellschaftlichen Debatte um den Würdebegriff, deren Wurzeln im Deutschen Idealismus und in der Literatur dieser Epoche liegen.Entfaltet wird die Forschungsfrage über den - anhand der Folter fassbaren - ""Grenzbegriff"" der Gewalt. Thomas Weitin geht davon aus, dass die Abschaffung der Folter als juristisches Beweiserzwingungsmittel mit einer Einlagerung der körperlichen Gewalt in den imaginären Bereich der Sprache einhergeht. Untersucht wird dieser Prozess im Verhältnis von Recht und Literatur, wobei die ""aktenmäßigen Darstellungen"" in den juristischen Fallsammlungen der Nachaufklärungszeit eine zentrale Rolle spielen. Diese Quellen sind als Hybridtexte zwischen Recht und Literatur für die schrittweise Medialisierung der Folter in der literarischen Einbildungskraft entscheidend. Heute spiegelt das Paradigma der Fallgeschichte in den einschlägigen TV-Serienformaten die gesellschaftliche Diskussion um die Folter nicht nur wider - die Folter tritt als ein Medienprodukt auf, das komplexen symbolischen und kulturellen Codierungen unterliegt. Daraus erwächst die heuristische Verantwortung der nicht-empirischen Gewaltforschung, die diese Zusammenhänge systematisch analysieren und historisch ausleuchten muss.
Thomas Weitin ist Professor für Neuere deutsche Literatur im europäischen Kontext an der Universität Konstanz. Er habilitierte sich 2008 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 2004 bis 2007 war er dort Wissenschaftlicher Assistent am Germanistischen Institut, 2005 Humboldt-Fellow an der Johns Hopkins University in Baltimore. Von 2002 bis 2004 hatte er Postdoc-Stipendien im Graduiertenkolleg ""Codierung von Gewalt im medialen Wandel"" an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/Main inne. Er leitet das Drittmittelprojekt ""Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der Folter"" (Volkswagen-Stiftung) und ist einer der Leiter des DFG-Netzwerks ""Gewalt der Archive".
(u. a.): Zeugenschaft. Das Recht der Literatur, München 2009; Recht und Literatur, Münster 2009.