Soziologie der Entnetzung: Praktiken der Entnetzung in Kunst und Ökonomie
Die gegenwärtige sozial- und kulturtheoretische Forschung ist vom Denken der Vernetzung beherrscht. Diese Begeisterung für Modi des Verbindens und Anschließens kennzeichnet nicht nur die theoretische Diskussion, sondern auch ganz unterschiedliche soziale Felder: Von den Social Media über neue politische Bewegungen und kollaborative Kunstformen bis hin zur Managementliteratur reicht die Hegemonie der Vernetzung. In jüngster Zeit vermehren sich jedoch die Anzeichen dafür, dass Imaginationen der Vernetzung auf Grenzen stoßen und neuartige Formen des Widerstands hervorrufen. Die (Über-)Vernetzung scheint selbst zum Problem geworden zu sein, wodurch Praktiken und Techniken der Entnetzung zunehmend attraktiv werden. Das Projekt möchte einen theoretischen Beitrag zu einem Begriff der Entnetzung liefern, der fähig ist, Entnetzung in ihrer eigenen Positivität zu verstehen und nicht nur als Störungsfigur zu konzipieren. Diese theoretischen Arbeiten stehen in engem Zusammenhang mit zwei Fallstudien zum Imaginären und zu Praktiken der Entnetzung in der Kunst und der Ökonomie. Entgegen der soziologischen These einer Komplizenschaft von Avantgardekunst und Netzwerkgesellschaft (z. B. Boltanski/Chiapello) soll gefragt werden, ob durch die Analyse von künstlerischen Praktiken der Entnetzung eine soziologische Analytik von Taktiken der Entnetzung gewonnen werden kann – eine Analytik, mithilfe derer auch gegenwärtige Managementstrategien der Entnetzung kritisch diskutiert werden können.
Nach dem Studium der Soziologie, Germanistik und Geschichtswissenschaft erwarb Urs Stäheli an der University of Essex seinen Ph.D. Nach seiner Postdoc-Tätigkeit in Bielefeld und seiner Habilitation in Luzern war er Ordinarius für Soziologie an der Universität Basel und ist seit 2010 Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Hamburg, wo er u. a. das Graduiertenkolleg „Lose Verbindungen: Kollektivität im urbanen und digitalen Raum“ leitet.
(u. a.): Infrastrukturen des Kollektiven, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 13 (1), 2013, S. 99–116; Entnetzt Euch!, in: Mittelweg 36, 2013, S. 3–28; Listing the Global: Dis/connectivity beyond representation?, in: Distinktion 13 (3), 2012, S. 233–246; gem. mit Ch. Borch (Hg.), Nachahmung und Begehren: Gabriel Tarde, Franfurt/Main 2009; Spektakuläre Spekulation: Zum Populären der Ökonomie, Frankfurt/Main 2007; Sinnzusammenbrüche, Weilerswist 2000.
Kaum eine Sphäre moderner Gesellschaften ist vom Imperativ „Vernetze Dich“ verschont geblieben. Netzwerken ist nicht nur selbstreferenziell geworden, sondern auch zu einer Tugend.