Wie kann „niemand“ einem erzählenden Ich helfen und mit diesem – lauter werdend – ins Gebirge gehen? Caroline Scholzen geht in ihrem Vortrag den Irritationen und Störmomenten nach, die das Indefinitpronomen „niemand“ im Gefüge der Texte Franz Kafkas erzeugt.
„Jeder ist willkommen.“ Dieser oftmals phrasenhaft gebrauchte Satz findet sich in einer Stellenanzeige des großen Theaters von Oklahoma, die der Protagonist Karl Rossmann am Ende von Franz Kafkas Roman „Der Verschollene“ liest. Karl fühlt sich durch diesen Satz angesprochen. Während des Bewerbungsverfahrens, welches auf einer Rennbahn stattfindet, stellt er sich mit dem Namen „Negro“ vor. Er wird ins Theater aufgenommen. Dies ist eine von mehreren Szenen, mit denen Kafka das Thema eines absoluten Gastrechts behandelt, welches nicht durch eine Familienzugehörigkeit verbürgt ist. Mit diesen Szenen ist auffällig oft das literarhistorische Namensspiel mit dem Indefinitpronomen niemand verbunden. Dabei wird dieser „niemand“ beispielsweise zum politisch agierenden Hausgenossen, es wird ein Ausflug mit ihm unternommen, und er wird als Leser und Helfer verpflichtet. Niemand handelt und wird damit zum unbestimmten Statthalter von Figuren, die nicht mehr handeln können, wollen oder dürfen. Sind diese Statthalter als semiotische Gäste zu fassen, mit deren Verwendung auf indefinite Weise in der Gesellschaft immer gerechnet wird? Man denke z. B. an die Fahrgäste der Wiener Linien, an Gastdozenten, „Gastarbeiter“ und Wirtshausgäste. Hat diese Statthalterschaft als gastliche womöglich poetologische, literarische und gesellschaftliche Brisanz?
Ort: IFK
Zurück