Am Umgang mit orientalischen Teppichen ab den 1850er-Jahren lässt sich die Spannung zwischen Internationalisierung des Geschmacks und gleichzeitigem Verlangen nach Unnachahmlichkeit und Authentizität ablesen. Céline Trautmann-Waller untersucht die enge Beziehung zwischen Ornament und Ethnos und das Wirken eines textilen Paradigmas in den Vorstellungen von Gemeinschaft und Poiesis. Die internationalen Ausstellungen in den Metropolen der 1850er-, 1860er- und 1870er-Jahre boten einen ersten Einblick in das, was die Förderung des internationalen Handels zu jener Zeit in stilistischer Hinsicht bedeuten konnte. Der orientalische Teppich, aus westlicher Sicht Inbegriff orientalischer Flächenornamentik und zur gleichen Zeit seit langem präsent in der europäischen Bildkultur und den fürstlichen Pracht-sammlungen, liefert in diesem Kontext wohl eines der prägnantesten Beispiele für die Widersprüche zwischen Orientalisierung des Orients und Internationalisierung des Geschmacks. Nun sollte der orientalische Teppich auch Teil der bürgerlichen Einrichtung und Museumsobjekt werden. Céline Trautmann-Waller zeigt in ihrem Vortrag, wie sich – ganz besonders im Wiener Kontext – am orientalischen Teppich Fragen der visuellen Identität des Orients und der kunsthistorischen und kulturgeschichtlichen Beziehungen zwischen „Orient“ und „Okzident“ entzündeten. Von den orientalischen Philologien zur Kunstgeschichte und Kunsthandwerksförderung, von der Teppichsammlung des k. k. Museums für Kunst und Industrie in Wien und der Ausstellung orientalischer Teppiche im österreichischen Handelsmuseum 1891 zu den Büchern Alois Riegls oder Joseph Karabaceks ist der orientalische Teppich ein privilegiertes Beispiel für die Spannungen zwischen Zirkulation von Mustern und Unnachahmlichkeit, Technik und Stil, Nostalgie des Handwerks und Industrialisierung.
Ort: IFK
Zurück