Ist das Vergessen gleichsam ein Verdauungsvorgang des Geistes, oder bedeutet es einfach, dass wir uns nicht erinnern können? Christine Abbt spricht in ihrem Vortrag über die theoretische Beschäftigung mit dem Vergessen.
Friedrich Nietzsche, der Theoretiker des Vergessens, bringt die Alternativen auf den Punkt: Entweder wird das Vergessen als ein Begriff der Sprache aufgefasst, der verwendet wird, um eine Lücke unseres Zugriffs anzuzeigen, oder es steht für die Vorstellung eines spezifischen Vermögens. Nietzsche selbst nimmt die Problematik zum Auftakt diverser Bestimmungen: Vergessen wird von ihm zum Beispiel als ein aktives, physiologisches Vermögen vergleichbar mit der Verdauung vorgestellt. Umberto Eco hingegen greift das Vergessen im Aufsatz „An Ars Oblivionalis? Forget It!“ als einen Begriff der Sprache auf, der nichts weiter anzeigt, als dass wir uns nicht erinnern können. Für Eco und viele andere des 20. Jahrhunderts ist damit die Beschäftigung mit dem Vergessen obsolet: Wenn das Vergessen kein eigenes Vermögen darstellt, dann macht die Beschäftigung mit dem Vergessen auch keinen Sinn. Unbemerkt wird so die Alternative normativ aufgeladen. Reflexion auf das Vergessen macht Sinn, wenn daraus eine inhaltliche Bestimmung resultiert. Sie macht keinen Sinn, wenn diese „die Lücke in unserer Macht“ begreifbar macht, uns für solche Lückenhaftigkeit sensibilisiert. Dass die Beschäftigung mit dem Vergessen relevant sein kann, eben weil sie auf die Lücke hinführt, gerät dabei aus dem Blick. Eine Folge dieses eingeengten Blicks ist die häufig wiederholte These, wonach das Vergessen nach 1955 eine vergessene Kategorie darstellt und erst nach 1990 wiederentdeckt wird.
Ort: IFK
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