Die kindliche Psyche „schafft im Zeichen des Verkehrs“, heißt es in Sigmund Freuds Fallbericht über die Pferdephobien des kleinen Hans, die er auf den Straßen Wiens entwickelte. Der Vortrag begibt sich auf die Fahrspur des stockenden Wiener Verkehrs und nimmt ihn zum Anlass, um über den sozialen Verkehr von Kindern mit Tieren nachzudenken.
Im Kontext der Krise von Natur und Kultur sowie des prekären Status unserer Beziehungen zu anderen Spezies hat Donna Haraway mit ihrer Parole „Make kin, not babies“ der Verwandtschaft neue politische Aktualität verliehen. Nicht nur bei ihr stellt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts daher die Frage, was Verwandtschaft eigentlich ausmacht, wie sie zu Stande kommt und hergestellt wird. Umso mehr lohnt ein Blick zurück in die Zeit um 1900, in der unsere modernen Vorstellungen von Verwandtschaft ihre kanonische Ausformulierung erfahren haben. Bereits hier durchzieht das Problem der Verwandtschaft von Menschen und Tieren die Texte der Anthropologie, der Kinderliteratur und der Kinderpsychologie. Der Vortrag spannt einen Bogen von Freuds These der infantilen Wiederkehr des Totemismus bis zu den Ängsten des kleinen Hans und schlägt eine Re-Lektüre der Kindern unterstellten „polymorph-sozialen Beziehungen“ (Lévi-Strauss) vor, um anschließend probehalber die Idee eines Begriffs der prekären Verwandtschaft zu konturieren.
Stephan Zandt studierte Kulturwissenschaft und Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft in Berlin und Marburg. Bis 2021 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaft der HU Berlin. 2019 promovierte er mit einer Arbeit zur Transformationsgeschichte der kulinarischen Sinnlichkeit. Gegenwärtig arbeitet er an einem Projekt zur Mensch-Tier-Verwandtschaft in Kindergeschichten um 1900 und ist IFK_Research Fellow.
Ort: IFK@Zoom
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