Sufische Interpretationen des Koran bestechen durch ihre unkonventionellen und vielschichtigen Reflexionen. Diese resultieren aus dem Anspruch, die innere Bedeutung koranischer Verse zu dekodieren und so ihre Impulse in die jeweiligen religiösen und sozialen Diskurse zu übertragen, die mitunter als ephemer und uneigentlich verstanden werden.
Sufis, die „MystikerInnen des Islam“, bemühen sich um eine unmittelbare Erfahrung der göttlichen, absoluten Realität, die sie durch das Entfernen von „Schleiern“ des als limitiert empfundenen Bewusstseins zu erreichen versuchen. Diese Haltung prägt nicht nur die sufischen Zugänge zum Koran, sondern auch ihre Betrachtungsweisen individueller und kollektiver Wirklichkeitskonstruktionen.Dabei werden sowohl der Koran, die Umwelt als auch das subjektive Selbst als zu interpretierende und aufeinander verweisende Texte verstanden.
Der Koran wird dabei von Sufis genutzt, um zu tiefer liegenden Wahrheitsebenen zu gelangen. Diese spirituell motivierte hermeneutische Anstrengung, die koranische Botschaft jenseits eines bloßen Literalismus zu verstehen, steht zudem in direkter Beziehung zur Persönlichkeitsentwicklung, die wiederum zu transformierten sozialen Positionierungen führt.
Diese wechselwirkende Dynamik ist als vielschichtiger Übersetzungsprozess zu verstehen. Anhand von Interviewausschnitten mit Sufis verschiedener Traditionen und aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten werden Beispiele sufischer Koranhermeneutik beleuchtet.
Yunus Hentschel hat Islamwissenschaften, Arabistik und Politikwissenschaften in Wien, Kairo und Damaskus studiert und forscht gegenwärtig zu seinem Dissertationsprojekt Sufische Zugänge zum Koran in der Gegenwart. Seit 2015 ist er Lektor für Islamwissenschaften und Arabistik am Institut für Orientalistik der Universität Wien und derzeit IFK_Junior Fellow.
Ort: IFK
Zurück