Elisa Primavera-Lévy, Literaturwissenschafterin und freie Autorin seziert Diskurse und Wendungen im Umgang mit dem Schmerz als Metapher des Realen.
Im Schatten des Aufstiegs der neuen Leitwissenschaft Medizin und des Niedergangs christlich-metaphysischer Leidensdoktrinen stellen deutsche Ärzte wie Philosophen im ausgehenden 19. Jahrhundert die Frage nach dem Wert und der Notwendigkeit physischer Schmerzen in der modernen Welt. Eine entschiedene Wendung zur vitalistischen Schmerzdeutung zeichnet sich ab, wobei nur dem zu Wachstum und Regsamkeit führenden Stimulationsschmerz ein gewisser Nutzen zugestanden wird. Der Krankheitsschmerz wird dagegen als evolutionäre Entgleisung verurteilt. Ablehnung des „pathischen Typs“ und Faszination für den „tetanischen Typ“ – um mit den Kategorien des Narkosearztes Carl Fervers zu sprechen – kennzeichnen die deutsche Kultur bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs: Der „tetanische“ Typ nimmt einen kalten Standpunkt gegenüber dem Schmerz ein. Er ist autark, verachtet Helfer und sucht kein Mitleid. Der „pathische“ Typ dagegen verkörpert menschliche Gebrochenheit im Schmerz und zeigt starke Abhängigkeit vom tröstenden Arzt und Umfeld. In ihrem Vortrag zeigt Elisa Primavera-Lévy, wie das Sprechen über den notwendigen Schmerz samt der Privilegierung des „tetanischen Typus“ im deutschen Kulturraum eine herausragende Rolle im kulturkritischen Diskurs einnahm.
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