Erwin Chargaff (1905–2002) ist gegenwärtig vor allem für seine Leistungen als Biochemiker bekannt. Dass er nach dem Ende seiner wissenschaftlichen Karriere in literarisch ambitionierten Essays gegen sein eigenes Fach polemisiert hat, wird oft vergessen. Magdalena Bachmann untersucht die Rezeption Chargaffs im naturwissenschaftlichen und im literarischen Kontext. 1987 erscheint das neue Buch von Johannes Mario Simmel „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“. Wie üblich greift der Autor Simmel ein gesellschaftlich relevantes Thema auf, das er in durchaus pädagogischer Absicht einem breiteren Publikum ans Herz legen will. Diesmal ist es die Gentechnologie, deren Diskussion in der Öffentlichkeit von einem brisanten Konglomerat aus Unwissenheit, Angst und oft religiös-moralisch fundierter Kritik bestimmt wird. Im Gegensatz zu vielen früheren Romanen stößt der Vielschreiber auf relativ positive Resonanz im Feuilleton. Der Grund dafür liegt hauptsächlich in der Themenwahl – und in Simmels akribischer Recherchetechnik: „Alle Katastrophen und grotesken Ergebnisse in diesem Zusammenhang sind Tatsachen“, behauptet der Autor, nennt im Anhang eine Reihe von Quellen und bedankt sich bei Experten, die ihn beraten haben. Einer, und zwar der wichtigste dieser angeblich zurate gezogenen und im Buch immer wieder zitierten Experten ist der Biochemiker und Essayist Erwin Chargaff. Magdalena Bachmann wirft folgende Fragen auf: Welche Rolle spielt das Bedürfnis nach Information für die Rezeption des Romans? Und welche Rolle spielt die angebliche Faktizität dieser fiktional verbrämten Informationen? Welche Funktion kommt der (primären) essayistischen Wissensvermittlung durch einen Chemiker und dessen wissenschaftlicher Autorität zu? Und vor allem: Was passiert, wenn literarisch ambitionierte Essays mit auf Informationsvermittlung abzielenden Sachtexten verwechselt werden?
Ort: IFK
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