An Robert Walsers Textoberflächen tummeln sich die Gattungen der Literatur scheinbar inflationär; tatsächlich sind die Texte aber höchst absichtsvoll in den Bedeutungshorizont der literarischen Gattungen eingeschrieben. Am Beispiel Walser diskutiert Paul Keckeis die Möglichkeiten der Gattungen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.
Robert Walser war Lyriker, Feuilletonist, Romancier, Verfasser fingierter Schulaufsätze, fiktiver Tagebücher und dramatischer Szenen, von Prosastücken, Dichterporträts, Nekrologien, Wirklichkeitsberichten, Novellen, Märchendramoletten und Briefen. Dennoch gilt er der Literaturwissenschaft als Autor ohne Gattung. Walsers späte Prosa „Aus dem Bleistiftgebiet“ wird als „Minima aesthetica“ oder „Mikropoetik“ gelesen und so allenfalls als Beitrag zur Geschichte der kleinen Formen geschätzt. Seine Expertise im Spiel der Klassifikationen erschöpft sich aber nicht in den formalen Idiosynkrasien seiner Bleistiftexte; Walsers Romanpoetik gibt Aufschluss über die Möglichkeiten des Romans, und schon die frühesten Texte dokumentieren eine besondere Sensibilität für ästhetische und soziale Semantiken verschiedener Gattungen. Ohne programmatischen Kompass und ausgestattet mit einem außerordentlichen Sensorium für Ideologeme und narrative Paradigmen, die verschiedenen Gattungsbegriffen zugrunde liegen, navigiert Walser durch die Gattungskonstellationen seiner Zeit. Paul Keckeis skizziert Walsers Gattungswissen und formuliert Möglichkeiten der Vermittlung von literarischer und literaturwissenschaftlicher Gattungsreflexion.
Ort: IFK
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