Der 20. März 1991 markiert das Ende einer Ära: Im niederrheinischen Kalkar wird der „Schnelle Natriumgekühlte Brutreaktor SNR-300“ stillgelegt und damit zur größten Investitionsruine der alten BRD. Die Geschichte dieses Kraftwerks und seines Chefentwicklers Wolf Häfele markiert jedoch zugleich ein medientechnisch innovatives Denken, das der „Hypothetizität“ seiner technischen Beherrschbarkeit mit neuartigen medientechnischen Mitteln begegnete – mit Computersimulationen. Sebastian Vehlken erzählt, wie aus spekulativen Atomspielen spektakulärer Ernst wurde. In Robert Jungks Anti-Atomkraft-Bibel „Der Atomstaat“ wird der Chefentwickler Wolf Häfele als einer jener Wissenschaftsmanager neuen Typs kritisiert, die mit unerschütterlichem Zukunftsglauben die Entwicklung technischer Großobjekte für eine hellauf strahlende Energiezukunft propagierten. Denn Häfele leitete von 1973 bis 1980 auch das Projekt „Energiesysteme“ am IIASA in Laxenburg / Österreich. Erst die Simulation globaler Energiezukünfte, wie sie dort durch Szenariotechniken und großangelegte Weltmodelle entworfen wurden, verlieh der alternativen Energiequelle Schneller Brüter eine scheinbar unabweisbare Rationalität. Mit dieser Expertise für die Erforschung des Ungewissen und Zukünftigen wird die Nuklearforschung in Häfeles Augen zur Avantgarde einer Wissenschaft, die sich auf wirklich Neues und auf tatsächlich noch ungeordnete Wissensbereiche beziehe. Im Kontext des Atomic Age kommt damit jener „verwegene spekulative Forschungsstil“ (Jungk) der Computersimulation in radikalisierter Form in den Fokus: Denn spätestens wo mit mythischem Sendungsbewusstsein Plutoniumwelten entworfen werden, wird aus spekulativem Spiel spektakulärer Ernst.
Ort: IFK
Zurück