Bis ins frühe 20. Jahrhundert wird der „deutsche Geist“ in staatspolitischen Schriften wie in literarischen Texten – von Klopstock, Schiller und Kleist bis hin zu Hofmannsthal und Thomas Mann – immer wieder aufs Neue beschworen. Wenngleich sich die jeweiligen Wiederaufgriffe in Nuancen unterscheiden, überwiegen doch die unübersehbaren Kontinuitäten, die den „deutschen Geist“ auch nach 1945 gelegentlich weiter „spuken“ lassen. In den Auseinandersetzungen um die Ausbildung einer nationalen Identität in und für Deutschland spielt der Begriff des Geistes eine zentrale Rolle. Der „Geist“ wird zur Chiffre eines spezifischen Kulturmodells, das in mehrfacher Hinsicht die nationale Identität konstituiert und definiert. Er lässt sich dabei weder ausschließlich als diskursive noch als politische Denkfigur oder bloßes Ideologem fassen, sondern am ehesten als Emblem, das für die sich ausbildende deutsche Gesellschaft Referenzfunktion besitzt. Nach 1945 wird der Begriff des Geistes freilich merkwürdig diffus. Der Geist als nationales Emblem verschwindet, und die bislang in ihm vereinten Denkfiguren beziehungsweise Wesensmerkmale (Humanität, Bildung, Weltbürgertum, Weltverstehen) werden ent-nationalisiert. Das Verschwinden dieses Emblems ist keineswegs unproblematisch. Zwar ist der Begriff des Geistes – als National- oder Volksgeist – verabschiedet, nicht aber die Denkfiguren und Elemente nationaler Identitätskonstruktion selbst, die er bislang – als Emblem – getragen hatte. In seinem Vortrag begibt sich Thorben Päthe auf Spurensuche nach Kontinuitäten und Zäsuren.
Ort: IFK
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