Das Jahr 1975 bedeutet eine gewaltige Zäsur für die Großmacht Portugal: Alle ehemaligen afrikanischen Kolonien werden autonom. Der Mythos vom portugiesischen Volk der mächtigen Eroberer muss nun verworfen werden. Verena-Cathrin Bauer untersucht anhand von Spielfilmmaterial das alte wie auch das sich neu strukturierende Selbstbild in den Narrativen der PortugiesInnen.
Portugals Auseinandersetzungen mit den Kolonien in Übersee endeten 1975 mit dem endgültigen Verlust aller Gebiete in Afrika – Mosambik, Angola, Guinea-Bissau und der Kapverden. Diese Phase der portugiesischen Geschichte stellt eine Zäsur des nationalen Selbstverständnisses dar: Der Weg über die Meere, der im Zeitalter der Entdeckungen zu einer Expansion in Asien, Afrika und Südamerika geführt hatte, musste endgültig verlassen werden. Diese Rückkehr in ein rein europäisches Portugal bedeutete einen Bruch des nationalen, mythologisierenden Imaginationsraums, der vom Selbstverständnis des portugiesischen Volkes als Entdecker und Eroberer als Zentrum seiner kollektiven Identität ausging.
Anhand von Spielfilmen über den Kolonialkrieg soll nachvollzogen werden, wie in medialen Diskursen Portugals Geschichte (um-)geschrieben und (re-)interpretiert wird: Wie verarbeiten Erinnerungsnarrative in historisierenden medialen Inszenierungen die komplexe Frage nach einer postkolonialen portugiesischen Identität? Aus welcher Perspektive wird auf die koloniale Vergangenheit des Landes geblickt? Inwiefern wird der offiziellen Historiografie kritisch entgegengearbeitet, und welche Form kann eine Neusituierung der Identitätskonzeption Portugals–sei es in einem europäischen, sei es im Kontext der Gesamt-Lusophonie–überhaupt annehmen?
Ort: IFK
Zurück