Vortragsmitschnitte

Tagung: Radikale Imagination. Cornelius Castoriadis. Vortrag Christoph Ernst, Jens Schröter: «Ist eine andere Technik möglich? Imagination und Technik bei Castoriadis»





Jens Schröter Moderne, technologische Gesellschaften produzieren unausgesetzt Bilder und Erzählungen über ihre Zukunft. Ein wichtiger Bestandteil ist die Vorstellung zukünftiger Technik. Doch diese Imagination der Technik ist in mindestens drei Hinsichten problematisch: Imagination anderer Technik und deren Realisierung: Einerseits verspricht die Entwicklung der Technik die Lösung zahlreicher Probleme, andererseits machen vergangene Erfahrungen mit neuen Technologien nicht immer Hoffnung. Statt Probleme zu lösen, tauchen neue, mitunter vollkommen unerwartete Schwierigkeiten auf. Dies wirft nicht nur die prognostische Frage nach realistischen Einschätzungen der Leistungen und Probleme zukünftiger Technik auf, sondern auch die nach einer prinzipiellen ›Andersheit‹ von zukünftiger Technik im Kontrast zu den Vorstellungswelten (den »imaginaries«), mit denen sich Gesellschaften ihre technische Zukunft vorstellen. Grenzen der Imagination anderer Technik: Wenn neue Technik im Rahmen einer gegebenen, in diesem Fall kapitalistischen, Gesellschaft nicht zu grundlegender Problemlösung führt oder sich in den Fallstricken eines »technologischen Solutionismus« (Evgeny Morozow) verliert, was bedeutet es dann, nach den Möglichkeitsbedingungen einer wirklich anderen Technik zu fragen? Wäre diese Technik nur in einer neuen Gesellschaft möglich – und umgekehrt diese nur mit jener? Wie also kann eine andere Technik imaginiert werden – also nicht bloß als leicht verfremdete Verlängerung und Verstärkung gegenwärtiger Technik und ihrer Trends (z. B. fliegende Autos)? Wie radikal anders kann Technik überhaupt gedacht werden? Technizität der Imagination: In der Verlängerung dieses Gedankens wird unmittelbar deutlich, dass die real existierende Technik nicht einfach nur sozialen Bedingungen unterworfen ist, sondern soziale Bedingungen und damit die Bedingungen der Imagination möglicher Technik formt. Der Versuch, eine andere Technik zu denken, stößt mithin auf das Problem, dass die Imagination von Technik ihrerseits von technischen Mitteln abhängt, also sich in den Bahnen und Grenzen vollzieht, die Technik der Imagination setzt. Was folgt daraus?


Jens Schröter ist seit April 2015 Inhaber des Lehrstuhls »Medienkulturwissenschaft« (W3) an der Universität Bonn. Von 2008–2015 Professor für »Theorie und Praxis multimedialer Systeme« (W2) an der Universität Siegen. 2010–2014 Projektleiter (zusammen mit Prof. Dr. Lorenz Engell, Weimar): »Die Fernsehserie als Projektion und Reflexion des Wandels« im Rahmen des DFG-SPP 1505: »Mediatisierte Welten«. Antragssteller und Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs 1769 »Locating Media«, Universität Siegen seit 2012. Seit 2016 ist er Sprecher des gemeinsam mit Dr. Stefan Meretz, Dr. Hanno Pahl und Dr. Manuel Scholz-Wäckerle) bei der VW-Stiftung beantragten Projekts »Die Gesellschaft nach dem Geld. Eröffnung eines Dialogs.« Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Geschichte digitaler Medien, Theorie und Geschichte der Photographie, Fernsehserien, Dreidimensionale Bilder, Intermedialität und Kritische Medientheorie. Im April/Mai 2014 hatte er ein »John von Neumann«-Fellowship an der Universität Szeged. Im September 2014 war er Gastprofessor an der Guangdong University of Foreign Studies, Guangzhou, VR China. Im WiSe 2014/15 war er Senior-Fellow am DFG-Forscherkolleg »Medienkulturen der Computersimulation« an der Leuphana-Universität Lüneburg, im SoSe 2017 war er IFK_Senior Fellow in Wien, im WiSe 2017/18 Senior-Fellow am IKKM in Weimar und im WiSe 2021/22 hatte er ein Fellowship am CAIS in Bochum. Christoph Ernst ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Medienwissenschaft der Universität Bonn. Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Diagrammatik & Medienästhetik der Informationsvisualisierung; Theorien des impliziten Wissens & digitale Medien, insbesondere Interfacetheorie; Medientheorie & Medienphilosophie, insbesondere Medien und Imagination. Zum Workshop