Vortragsmitschnitte

Tagung: Radikale Imagination. Cornelius Castoriadis zum 100. Geburtstag: Nicola Condoleo: »Der Riss. Überlegungen zum radikal Imaginären«





Nicola Condoleo Anlässlich des 100. Geburtstages von Cornelius Castoriadis 2022 ist ein Themenheft der »Zeitschrift für Kulturwissenschaften« geplant, das sich bisher weniger beleuchteten Seiten von Castoriadis’ Philosophie widmet und die Bedeutung dieses Denkers für zeitgenössische Debatten herausarbeitet. Die Arbeitstagung eröffnet die Diskussion. Vortrag Nicola Condoleo: »Der Riss. Überlegungen zum radikal Imaginären«


»Wie sind das Gesellschaftlich-Geschichtliche und radikale Imagination (von Subjekten) verknüpft?« Um darauf zu antworten, folgt der Vortrag einer Linie, einem »Riss«: »Das Innere der Gesellschaft wird ihr selbst äußerlich, und insofern das eine Selbstrelativierung der Gesellschaft bedeutet, ist die […] Distanzierung […] ein erster Riss im (instituierten) Imaginären.«1 Dieser Riss (rupture/brisure) führt zur Perspektive der Institutionen als gesellschaftlich-geschichtliche Schöpfung. Castoriadis entwickelt ausgehend von dieser Schöpfung sein Konzept des radikal Imaginären als Bedingung gesellschaftlicher Veränderung. Wie aber sind das Gesellschaftlich-Geschichtliche und die radikale Imagination – beides Aspekte des radikal Imaginären – verschränkt? Anders gefragt: Wie kommen Gesellschaft und Subjekt zusammen? Wie »trennen« sie sich bzw. was bedeutet insofern Autonomie? Wie ist letzteres möglich, wenn sich Gesellschaft »aus schon gesellschaftlichen Individuen« zusammensetzt?2 Der Riss deutet, so die These, auf ein fragiles Verhältnis von Gesellschaftlich-Geschichtlichem und radikaler Imagination hin. Ein Riss im Instituierten bedeutet Abstand oder Anderssein im Verhältnis von Gesellschaft und Subjekt. 1Castoriadis, Cornelius: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 267. 2Castoriadis, Cornelius: »Moderne Wissenschaft und philosophische Fragestellung«, in: Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft, Frankfurt am Main 1983, S. 173. Nicola Condoleo arbeitet in der Lehre, vor allem am Gymnasium. Zudem ist er in der philosophischen Praxis tätig: durchslabyrinth.com und forscht mit Fokus auf Sozialphilosophie, politische Philosophie und Ästhetik (Frankfurter Schule; Cornelius Castoriadis). Nicola Condoleo studierte Philosophie in Zürich und Parma, Theaterwissenschaft in Bern und Deutsche Literaturwissenschaft.