Fluchtpunkte der Erinnerungen: Wie übersetzt man moralische Narrative
Die großen moralischen Narrative der Grausamkeit kommen mit tiefgreifenden politischen Konsequenzen auf uns zu. Das westliche Narrativ erinnert an die Verbrechen des Totalitarismus wie Holocaust und Gulag. Jenseits der atlantischen Welt spielen diese Erinnerungen kaum eine Rolle. Im Vordergrund stehen hier die Grausamkeiten des Westens gegen die außerhalb des Westens stehende Welt. Nicht Holocaust, sondern Kolonialismus und Imperialismus sind die semantischen Markierungen. Diese beiden moralischen Narrative sind nicht immer klar voneinander zu trennen; sowohl in der Geschichtsschreibung als auch in den politischen Analysen sind sie oft miteinander verknüpft, und im Nahostkonflikt überlagern sie sich. Mein Forschungsprojekt wird versuchen, die beiden Narrative nicht nur zu beschreiben und zu analysieren, sondern auch miteinander in den Diskurs treten zu lassen – mit dem Ziel, jüdische Studien und Postkolonialismus gemeinsam zu denken.
Natan Sznaider ist Professor emeritus für Soziologie an der Akademischen Hochschule von Tel Aviv. Seine Forschungsthemen sind soziologische Theorie, Globalisierung und Erinnerungskultur. In Deutschland geboren, wanderte er 1974 nach Israel aus, wo er 1976 sein Studium aufnahm. An der Columbia-Universität in New York promovierte er zum Thema Soziologie des Mitleids. Er hatte mehrere Gastprofessuren und Fellowships in Deutschland, Österreich und der Schweiz inne. Sznaider veröffentlicht regelmäßig Essays in Tages- und Wochenzeitungen. Natan Sznaider lebt und arbeitet in Tel Aviv. Momentan arbeitet er an einer Studie über das Verhältnis von jüdischer Aufklärung und Soziologie und den daraus folgenden Möglichkeiten für ein gemeinsames Denken über postkoloniale und jüdische Studien. Sein Buch Fluchtpunkte der Erinnerung: Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus, das im Jänner 2022 im Hanser Verlag erschien, markiert den Anfang dieses Forschungsvorhabens.
Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus, München 2022; Politik des Mitgefühls. Die Vermarktung der Gefühle in der Demokratie, Weinheim 2021; gem. mit Christian Heilbronn und Doron Rabinovici (Hg.), Neuer Antisemitismus? Die Fortsetzung einer globalen Debatte, Berlin 2019.
Nata Sznaider, Professor Emeritus für Soziologie am Academic College in Tel Aviv-Yaffo und derzeit ifk Senior Fellow, verfasst für www.politikkultur.de, den Essay »Die hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit. Israel im Frühjahr 2023«.
Natan Sznaider: »Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus«
Buchpräsentation und Podiumsdiskussion mit Natan Sznaider (Autor), Jochen Böhler und Éva Kovács (beide: Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien)https://www.vwi.ac.at/
The Center for Israel Studies Vienna, in cooperation with the Vienna School of International Studies (Diplomatische Akademie Wien) and the Friends of the New Israel Fund Austria, invites you to a panel discussion on the topic
The Future is Now: Democracy in Israel Date: Tuesday, 16 May 2023, 19:00h (7:00 p.m.)
Venue: Auditorium of the Vienna School of International Studies, Favoritenstraße 15a, 1040 Vienna Registration: office@center-for-israel-studies.at
Ein Gespräch mit dem israelischen Soziologen Natan Sznaider über ethnische und religiöse Defekte in Israel, über die momentane Gefahr eines Bürgerkriegs und die Dilemmata und Widersprüche in der politischen Machtpraxis.
1959 wurde Hannah Arendt nach Hamburg eingeladen, um den Lessing-Preis entgegenzunehmen. Sie konnte den Preis als Jüdin nicht ablehnen, aber sie konnte ihn auch nicht als Deutsche annehmen. Eingeladen als Humanistin, sprach sie als Jüdin. Identität wird bei ihr zur politischen Tatsache, die sie dann auch auf die Bühne der Preisverleihung bringt.