Diderot deutsch. Zur Kulturpoetik der intermittierenden Übersetzung
Für die Rezeption Diderots spielt der deutsche Sprachraum die Rolle eines diskursbegründenden Verbreitungs- und Vermittlungsorgans. Diderots dramatische Lehrstücke (Le Père de famille, Le Fils naturel) wurden durch Lessings Übersetzungen um 1760 international zugänglich. Der pikareske Roman Jacques le Fataliste et son Maître wurde auszugsweise durch Schiller 1785 publik gemacht. Goethes Übersetzung des Dialogromans Le Neveu de Rameau (1804) bildete gar die Basis einer Rückübertragung ins Französische, und die Titelfigur wurde von Hegel als Musterfall eines epigonal verbildeten Bewusstseins aufgegriffen. Der kulturelle Transfer verstärkt die disruptiven Qualitäten Diderots. Bei den Dramen sorgen narrative Rahmungen für Illusionsbrüche, in den Romanen arbeiten sich die Übersetzer durch Kürzungen und Überleitungen an den Digressionen der Vorlagen ab. Ziel der Analyse ist, aus diesen Friktionen die poetologische „DNS“ der Schreibexperimente Diderots herauszupräparieren: eine Ästhetik des sensualistischen Konstruktivismus, die durch Verkreuzung von Gattungen und Diskursformen deren Wirkung auf das Sag-, Fühl-, Sicht- und Denkbare freizulegen sucht.
Alexander Honold ist seit 2004 Ordinarius für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Er studierte Germanistik, Komparatistik, Philosophie und Lateinamerikanistik in München und Berlin; Promotion 1994 an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über Robert Musil und den Ersten Weltkrieg; Habilitation 2002 an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Studie über die Astronomie im Werk Friedrich Hölderlins. Lehrtätigkeit u. a. an der FU Berlin, an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Konstanz; diverse Forschungsaufenthalte (u. a. New York, Stanford, KWI Essen und FRIAS in Freiburg). Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen interkulturelle und Reiseliteratur, Erzählforschung, Theorie und Kultur der Moderne, Literatur und Musik, Geschichte der Landschaftsästhetik, astrokalendarische Wissensformen.
gem. mit Edith Anna Kunz und Hans-Jürgen Schrader (Hg.), Goethe als Literatur-Figur, Göttingen 2016; (Mhg.), Einsatz der Dichtung. Literatur im Zeichen des Ersten Weltkriegs, Berlin 2015; Die Zeit schreiben. Jahreszeiten, Uhren und Kalender als Taktgeber der Literatur, Basel 2013.
Alexander Honold, IFK_Senior Fellow im Wintersemester 2017/18 wird im Rahmen einer Tagung an der Gakushuin University in Tokyo zum Thema "Raumfiguren" einen Vortrag über das Thema "Inklusion/Exklusion. Zur Ambivalenz des Hauses (Stifter, Kafka, Musil)" halten.
Die Konferenz soll das Spannungsfeld von Wohnen und Unterwegssein aus inter- und transkulturellen Perspektiven in den Fokus rücken. Dem Wohnen wird oft eine privilegierte Stellung in Hinsicht auf die menschliche Existenz überhaupt zugesprochen, was vielleicht eine kulturspezifische Sichtweise ist. Neu-Gestaltungen des Verständnisses von Wohnen aus kulturdifferenter Sicht könnten die Opposition von Wohnen und Unterwegssein vermindern und die Sicht auf Zwischenformen von Wohnen und Unterwegssein eröffnen. Literatur, Kunst, Theater, Medien, Architektur etc. sollen nicht nur daraufhin befragt werden, inwieweit sie an solchen sozialen und politischen Neuentwicklungen teilnehmen, sondern auch, inwieweit sie Imaginations- und Vorstellungsbereiche für neue Wohn- und Unterwegsseinsformen antizipieren und performieren könnnen.
Am 29.11.2017 um 18:30 Uhr wird am Institut für Germanistik der Universität Wien das Buch von Alexander Honold zu Peter Handke und seinen erzählten Text-Räumen vorgestellt. Die Veranstaltung ist zugleich als eine kleine Hommage an den ebenso österreichischen wie internationalen Autor gedacht, der Anfang Dezember seinen 75. Geburtstag feiert.
„Brücken zu bauen“ ist im vielsprachigen Europa eine der Lieblingsmetaphern. Zum Abenteuer des Übersetzens aber gehört auch die Schwierigkeit der unterbrochenen Wege, abgerissenen Kontakte oder der blockierten Überlieferungen. In der deutschsprachigen Rezeption des französischen Aufklärers Diderot bringt das Phänomen der produktiven Unterbrechung sogar erst die Pointe dieses Denkers zur Geltung.