Alexander von Schwerin
ifk Research Fellow


Zeitraum des Fellowships:
01. März 2010 bis 30. Juni 2010

Mutationen und Mutagene: Biologische und gefährliche Dinge in der Analytik der Biopolitk



PROJEKTBESCHREIBUNG

Kaum jemandem ist heute die Maschinerie bewusst, ohne die der Massenkonsum, wie er sich in Deutschland und Österreich seit den 1960er Jahren entwickelt hat, möglich wäre: eine Maschinerie, die das Risiko zu sterben reguliert. Es geht um Substanzen mit hoher transformatorischer Kraft, so genannte Mutagene: radioaktive Partikel aus dem radioaktiven Fallout, Arbeitsstoffe in der Industrie, Zusatzstoffe zu Nahrungsmitteln, Pestizide (wie DDT) und Pharmaka. Diese Substanzen können Mutationen erzeugen und verwandeln auf diese Weise normale Körperzellen in Krebszellen und Samen- und Eizellen in körpereigene Risiken für die "Volksgesundheit". Die Krux an diesen Stoffen ist ihr prekärer Status: gleichzeitig nützliche und effiziente Mittel darzustellen und zugleich - und untrennbar davon - autonom und gefährlich zu sein.
Mutierte Kreaturen bevölkern seit dieser Zeit in wechselnder Gestalt unseren medialen Alltag. "Them!" waren die mutierten Riesenameisen, die drohten, Los Angeles zu überrennen. Mutationen waren zugleich die Gegenstände eines risikoepistemischen und -politischen Dispositivs, das sich fast unbeachtet und auch noch vor dem apokalyptischen Alarm der Umweltbewegung formierte und das eine "Biopolitik des Lebens als Ganzes" (Lemke) begründete. Alexander von Schwerin untersucht die Genealogie dieses Dispositivs - und seine nicht vorhergesehenen Folgen. Man bekommt dann mit der gesamtgesellschaftlichen Transformation regulatorischer Strategien seit den 1970er Jahren zu tun und der Rolle, die die molekularbiologische Revolution für den Homo oeconomicus und die Konstitution eines "selbst-reparierenden Selbst" in der Zeit der neoliberalen Wende spielte.



CV

Alexander von Schwerin ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften und Pharmazie der TU Braunschweig. Sein Forschungsprojekt lautet: Mutagene und Mutationen. Eine Geschichte biologischer und riskanter Dinge in den 1960er Jahren.



Publikationen

(u. a.): 1961. Die Contergan-Bombe. Der Arzneimittelskandal und die neue risikoepistemische Ordnung der Massenkonsumgesellschaft, in: Nicholas Eschenbruch, Viola Balz, Ulrike Klöppel und Marion Hulverscheidt (Hg.), Arzneimittelgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2009, S. 255-282; Der gefährdete Organismus. Biologie und Regierung der Gefahren am Übergang vom "Atomzeitalter" zur Umweltpolitik (1950-1970), in: Florence Vienne, Christina Brandt (Hg.), Wissensobjekt Mensch, Berlin 2009, S. 187-214; 30 Jahre "Geschichte der Gouvernementalität" und die Notwendigkeit von mehr Geschichte des Wissens, in: Comparativ, 17, 2007, S. 123-137.