Humboldt-Universität zu Berlin
Jenseits von Synthesen und Transfers. Ästhetische Brüche in der jüngsten Musik aus China
Chinas zeitgenössische Musik hat in den letzten 15 Jahren ästhetische Impulse und Diskurse erlebt, die sich signifikant von früheren Entwicklungen abheben. Bedingt durch veränderte Lebens- und Ausbildungsrealitäten sind für die ab den 1990er-Jahren geborenen Komponist*innen ehemals kontrovers diskutierte Fragen zu Nationalstil und der Integrationsarbeit an traditioneller Musik nunmehr historische Randdiskurse und Relikte einer westlich dominierten Perspektive. Musik aus China steht heute in einem vielfältig reziproken Verhältnis zu westlicher und asiatischer. Ziel ist es, die Bedingungen und Symptome dieses Wandels zu erfassen. Im Zentrum der Arbeit steht eine Analyse der künstlerischen Praxis ausgewählter Komponist*innen. Qualitative Interviews und zeitgeschichtliche Kontextualisierung ergänzen die Erkenntnisse aus der Analyse. Dabei werden auch die Positionen problematisiert, von denen aus Musik aus China beschrieben wird.
Andreas Karl ist Musikwissenschafter, Dramaturg, Librettist und Komponist. Seine Forschungsschwerpunkte sind zeitgenössische Musik in Europa und China. Er ist derzeit Dissertant an der mdw und forscht zur jüngsten Musik aus China. Er war Lecturer an der mdw und am Zentralkonservatorium in Peking – mit Kursen zur Geschichte und Ästhetik neuester Musik. Als Komponist und Interpret arbeitet er unter dem Pseudonym Cornelius Berkowitz seit 2008 an Stücken im Grenzbereich zwischen Konzert, Installation, Film und Tanz. Ein ausgeprägtes Interesse gilt zwischensprachlichen Phänomenen, Übersetzungsfehlern und musikalischem Mapping. Er arbeitet regelmäßig mit dem Duo hoelb/hoeb zusammen, darunter Filmmusiken und konzertante Installationen. Als Librettist arbeitet er eng mit den Komponistinnen Yang Song und Ying Wang zusammen. Er war Assistent des Komponisten Beat Furrer und Co-Kurator beim CD-Label KAIROS.
»Wider die Einbahnstraße. Identitäten im jüngsten chinesisch geprägten Komponieren«, in: Positionen 128.3/2021, S. 38–46; »Beat Furrer und das mögliche Andere«, in: Bernhard Günther, Angela Heide (Hg.), Wien Modern 2021, Wien 2021, S. 97–101; »Black Metal. Musikalisierung des Bösen. Klangstrukturen extremer Ideologie«, in: terz magazin 1.2/2013, online.
Der BCCN Talk am 2. Mai am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, diskutiert die komplexe Kulturpolitik Chinas anhand der ästhetischen und inhaltlichen Transformation von Musik. Mit einem Impulsvortrag des Musikwissenschaftlers Andreas Karl, derzeit ifk Junior Fellow Abroad, und Beiträgen von Wang Xilin sowie dessen Tochter, der Komponistin Wang Ying. Die Teilnahme ist in Präsenz und online möglich.
berlincontemporarychinanetwork.org
Der sich ständig verschiebende Spagat zwischen kultureller Heterogenität, Individualismus und staatlicher Homogenisierung ist der Musik aus China bis in die kleinsten Zellen eingeschrieben. Schon allein deswegen ist diese Musik hochdynamisch. Dennoch gab es bis in die 2000er-Jahre einige unumstößliche Konstanten – doch auch sie werden nun in Frage gestellt.