Beethoven und transnationale Erinnerungskulturen in den Zwischenkriegsjahren
Im Gegensatz zu Literatur und Theater wurde die Kunstmusik des Westens, und keine mehr als die Musik Beethovens, oft als Universalsprache eo ipso aufgefasst. Diese Idee hatte sich bereits im 19. Jahrhundert festgesetzt. Nach Ende des Ersten Weltkriegs stellte sich die Frage nach Beethovens Universalität jedoch erneut und in verschärfter Form, vor allem in den Jubiläumsjahren 1920 und 1927. Beethoven wurde oft als Friedensstifter gesehen, dessen Kompositionen nationale Grenzen im besten Interesse der Menschheit überschritten, ohne dass sie der Übersetzung bedürften. Diese Nachkriegsinterpretationen von Beethoven kristallisierten sich in zwei ausgesprochen unterschiedlichen Momenten der Erinnerung: dem 150. Geburtstagsjubiläum des Komponisten (1920) und den Gedenkfeiern zu seinem 100. Todestag (1927). Diese beiden historischen Momente stehen im Zentrum dieses Projektes, das transnationale Erinnerungskultur in einer glokalen Perspektive erforscht und dabei lokalen Übersetzungen transnational zirkulierender Themen nachspürt.
Annegret Fauser ist Cary C. Boshamer Distinguished Professor of Music an der University of North Carolina in Chapel Hill. Der Schwerpunkt ihrer Forschungen liegt auf den Schnittstellen von Musik und ihren sozialen, politischen und künstlerischen Kontexten, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert. Fauser ist die Autorin von Der Orchestergesang in Frankreich zwischen 1870 und 1920 (1994), Musical Encounters at the 1889 Paris World’s Fair (2005), Sounds of War: Music in the United States during World War II (2013) – wofür sie den „Music in American Culture“-Preis der American Musicological Society sowie den „ASCAP Deems Taylor“-Preis erhielt –, The Politics of Musical Identity: Selected Writings (2015) und Aaron Copland’s Appalachian Spring (2017), das 2018 mit dem ASCAP Foundation’s Virgil Thomson Award for Outstanding Music Criticism ausgezeichnet wurde.
with Michael A. Figueroa (eds.), Performing Commemoration: Musical Reenactment and the Politics of Trauma, Ann Arbor 2020; “Beethoven in den USA. Lokale Traditionen und diasporische Identitäten während des Zweiten Weltkriegs," in: Schriften zur Beethovenforschung 30 (in press); “French Entanglements in International Musicology during the Interwar Years,” in: Revue de Musicologie 103, 2017, S. 499–528.
Wie ist es möglich, dass auch nach Ende des Ersten Weltkriegs die Beethoven-Jubiläen von 1920 und 1927 einen so deutlich transnationalen Charakter annahmen? Dieser Vortrag spürt den weltweiten Reaktionen auf Beethoven nach und fragt, warum die Erinnerungskulturen um den deutschen Komponisten weiterhin grenzüberschreitend blieben.