Rhythmus – eine Denkfigur der Künste und ihrer Wissenschaften um 1900 und ihre temporalen und kulturellen Implikationen
Das Projekt befasst sich mit der Denkfigur des Rhythmus in der Ästhetik, Literatur und bildenden Kunst um 1900. Die Rede vom Rhythmus wurde zu dieser Zeit geprägt, um die leibliche Verankerung von Wahrnehmung und ästhetischer Erfahrung gegenüber einem sinnzentrierten Kunstverständnis zu betonen sowie empirisch und physiologisch zu begründen. Davon ausgehend, analysiert das Projekt im Unterschied zu einer eher ästhetikgeschichtlichen Forschung, welche zeitliche Dimension der Rhythmusbegriff für die jeweilige Darstellung und ihre Rezeption impliziert und welche kulturellen – auch außereuropäischen – Konzeptionen von Zeitlichkeit um 1900 der Rede von Rhythmen zugrunde liegen. Untersucht wird zudem, warum sich Rhythmus als Grundbegriff der Ästhetik nach 1900 nicht hat durchsetzen können und schließlich, welche Potenziale die Rede vom Rhythmus in aktuellen Debatten wie der Frage nach Präsenzeffekten oder nach der rezeptionsästhetischen Spezifizität der Bild- und Texterfahrung ausspielen könnte.
Boris Roman Gibhardt ist seit 2015 Privatdozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Deutsche Philologie an der Freien Universität Berlin. Seit 2019 ist er außerdem Kurator für Dichternachlässe, Literaturwissenschaft und kustodische Sammlungen des Goethe-Nationalmuseums bei der Klassik Stiftung Weimar.2019 war er Humboldt-Feodor-Lynen-Fellow am German Department der Harvard University,2015 Research Fellow an der Stanford University, bis 2014 Chargé de Recherche am Deutschen Forum für Kunstgeschichte, Paris. Zusammen mit KollegInnenaus Deutschland und Frankreich gibt er diedeutsch-französischeZeitschrift „Regards Croisés. Journal d’Histoire de l’Art et d’Esthétique“ heraus.
Vorgriffe auf das schöne Leben. Weimarer Klassik und Pariser Mode um 1800, Göttingen 2019; Nachtseite des Sinnbilds. Die Romantische Allegorie, Göttingen 2018; Das Auge der Sprache. Ornament und Lineatur bei Marcel Proust, Berlin 2011.
„Rhythmus“ galt um 1900 als Grundbegriff der Künste. Der aus der Antike entlehnte Begriff verbindet sich um 1900 aber mit einem auch außereuropäischen Rhythmusdenken, insbesondere mit fernöstlichen Konzepten von Zeit. Diese fanden in der deutschsprachigen Dichtung einen bislang wenig erforschten Niederschlag.